Empfehlungen des BDI
Wir haben das Konjunktur- und Krisenbewältigungspaket der Bundesregierung bewertet. Für eine vollständige Einschätzung der konjunkturellen Wirkung der Maßnahmen sind die Koalitionsbeschlüsse noch nicht ausreichend präzisiert. Mit Vorlage des Nachtragshaushalts und einer genaueren zeitlichen Zuordnung der finanzwirksamen Maßnahmen muss in den nächsten Monaten immer wieder neu geprüft werden, ob die Maßnahmen ausreichen. Angesichts der aktuellen dramatischen Entwicklung kommt das von der Großen Koalition beschlossene Konjunktur- und Zukunftsprogramm zur rechten Zeit. Es setzt ein starkes Signal für Bürger und Unternehmen, Konsum- und Investitionsausgaben noch dieses Jahr zu erhöhen. Es umfasst ein Volumen von 130 Milliarden Euro und ist konjunkturell für die Jahre 2020 bis 2022 ausgelegt. Die wachstumsförderlichen Maßnahmen sind auch für längere Zeiträume dotiert worden. In der Kürze der Zeit ist für das Zukunftsprogramm zwar noch kein ausreichendes Volumen bereitgestellt worden, es enthält jedoch eine Vielzahl an positiven investiven Elementen.
Konjunkturpaket zielführend
Ein Großteil der beschlossenen Maßnahmen wird noch in diesem Jahr Wirkung entfalten. Vor allem die Stützung der privaten Konsumausgaben soll die drohende Rezession deutlich abmildern. Ein zentrales Element ist die für den Zeitraum vom 1. Juli 2020 bis Jahresende 2020 vorgesehene Absenkung der Umsatzsteuersätze von 19 Prozent auf 16 Prozent, beziehungsweise von sieben Prozent auf fünf Prozent. Die erwarteten Steuerausfälle dieser Maßnahme belaufen sich auf 20 Milliarden Euro. Dadurch entstehen voraussichtlich substanzielle Kaufkraftzuwächse der privaten Haushalte. Auch der Erwerb langlebiger Konsumgüter wird dadurch angeregt, unter anderem für Kraftfahrzeuge, Möbel oder andere teurere Anschaffungen. Dies ist sicherlich zielführend, da die extreme Kaufzurückhaltung der privaten Haushalte in den letzten Wochen zu einem scharfen Nachfrageeinbruch in diesen Segmenten geführt hatte. Allerdings begründet die vorübergehende Steuersatzsenkung bei einer Umstellungsfrist von nur einem Monat umfangreiche Systemumstellungen und Risiken für die Unternehmen. Dies gilt etwa für mittelständische Unternehmen, die gerade im B2B-Geschäft bei laufenden Projekten und langfristigen Lieferverabredungen erhebliche Komplexität, erhöhte Unsicherheit auch mit Kunden und Behörden (Betriebsprüfung) sowie neuen Bürokratieaufwand erfahren. Deswegen muss hierzu noch eine gesetzliche Billigkeitsregelung aufgenommen werden, wonach eine falsch ausgewiesene und nicht berichtigte Mehrwertsteuer nicht zu einer Kürzung des Vorsteuerabzugs der Unternehmen führt.
Mit diesen Maßnahmen soll eine Normalisierung rascher herbeigeführt werden. In kleinem Umfang könnte es auch in einigen Branchen zur Stärkung der Margen der Unternehmen beitragen.Des Weiteren wird die private Kaufkraft mit einem einmaligen Kinderbonus in Höhe von 300 Euro je Kind, der im Jahr 2020 ausgezahlt werden soll, gestärkt. Dieser wird mit dem Freibetrag verrechnet und stützt daher Haushalte mit niedrigen und mittleren Einkommen mit 4,3 Milliarden Euro. Außerdem erhalten Alleinerziehende einen Entlastungsbeitrag, der ihr Einkommen um eine dreiviertel Milliarde Euro stützt. Mit diesen Maßnahmen wird der private Verbrauch gestärkt; wichtig ist dabei auch der konsumpsychologische Aspekt, da die Pandemie-Maßnahmen die Verbraucher teilweise direkt eingeschränkt, darüber hinaus aber auch Zukunftssorgen zur Zurückhaltung geführt haben. Dies alles kann leicht zu einem Teufelskreis werden, da einbrechende Umsätze Geschäftsschließungen und Einkommenseinbußen mit sich bringen. Dem muss sich die Wirtschaftspolitik entgegenstemmen. Zudem dürften die diversen Lockerungen der Beschränkungen auch eine gewisse Normalisierung beim Neustart ermöglichen, zum Beispiel in der Gastronomie, dem Tourismus und dem stationären Einzelhandel. Dies dürfte die Wirtschaftsleistung allein um gut 0,7 Prozent verbessern. Darüber hinaus soll im September eine verlässliche Regelung für den Bezug von Kurzarbeitergeld ab dem 1. Januar 2021 vorgelegt werden. Damit dürfte das Kurzarbeitergeld auch im nächsten Jahr zur Einkommensstabilisierung beitragen. Dies stützt die Konjunktur im nächsten Jahr.
Stützungsprogramm für Unternehmen, aber zu wenig Verlustverrechnung
Der Bund will zudem ein weiteres Stützungsprogramm für Unternehmen beschließen. Bis zu 25 Milliarden Euro werden im laufenden Jahr zusätzlich für Überbrückungshilfen ausschließlich an kleine und mittlere Unternehmen (KMU) zur Unterstützung bei sehr starken Umsatzeinbußen bereitgestellt. Dies hilft vor allem Selbständigen und kleinen Unternehmen, dürfte somit einige Insolvenzen vermeiden und dazu beitragen, dass die Ausgaben von Unternehmen und ihren Beschäftigten nicht einbrechen. Da die Finanzierung des Programms noch nicht klar ist, dürfte davon allein kein zusätzlicher konjunktureller Impuls ausgehen; die Maßnahme verhindert jedoch einen zusätzliche Einbruch von Einkommen. Für jene Unternehmen des industriellen Mittelstands, die oberhalb der Schwellen der europäischen KMU-Definition liegen, sind höchstens unmittelbare Effekte zu erwarten, und es entsteht dadurch eine neue „Mittelstandslücke“ in der staatlichen Förderarchitektur. Gleichzeitig verschafft der Staat durch veränderte Zahlungstermine für die Einfuhrumsatzsteuern allen Unternehmen einen weiteren Liquiditätspuffer von fünf Milliarden Euro. Diese Fristenverschiebung kann den Weg für ein Verrechnungsmodell ebnen, das den Unternehmen ermöglicht, die Einfuhrumsatzsteuer direkt in der Umsatzsteuererklärung als Vorsteuer geltend zu machen. Dies mindert die Bürokratielast der Unternehmen und fördert ein „level playing field“ mit der Logistikindustrie in unseren Nachbarländern.
Bei den Maßnahmen zu den Unternehmen ist die Koalition in einigen Punkten jedoch hinter den Notwendigkeiten zurückgeblieben. So fällt die leichte Erhöhung des steuerlichen Verlustrücktrags für die Jahre 2020/21 weit hinter die Notwendigkeit zurück, die drastisch gesunkene Leistungsfähigkeit von Unternehmen durch eine vollständige steuerliche Anerkennung der Corona-Verluste zu stabilisieren. Hierzu muss ein der Höhe nach unbegrenzter Verlustrücktrag ermöglicht werden, beziehungsweise die Erhöhung auf fünf Millionen Euro (beziehungsweise zehn Millionen Euro) noch deutlich weiter erhöht werden. Außerdem muss der Verlustrücktrag auf mehr als ein Jahr zurück möglich sein. Schließlich müssen Corona-Verluste auch in künftige Gewinnjahre unbegrenzt vortragsfähig sein.
Sozialgarantie richtiger Schritt
Wichtig für Unternehmen und Beschäftigte gleichermaßen ist die von der Koalition beschlossene „Sozialgarantie 2021“. Danach soll die Beitragssatzsumme in den Sozialversicherungen bis 2021 bei maximal 40 Prozent stabilisiert werden. Eine Erhöhung der Beitragssätze würde die Personalzusatzkosten der Betriebe erhöhen und auch die Nettoeinkommen der Arbeitnehmer reduzieren. Das wäre konjunkturell völlig verkehrt. Es ist daher richtig, pandemiebedingte Mindereinnahmen und Mehrausgaben der Sozialversicherungsträger durch höhere Bundeszuschüsse auszugleichen. Hierfür sind gut fünf Milliarden Euro vorgesehen worden. Zudem wird der Bund mit elf Milliarden Euro über zwei Jahre den ansonsten zu erwartenden Anstieg der EEG-Umlage aus Haushaltsmitteln finanzieren. Dies vermeidet zwar eine weitere Belastung der Wirtschaft, die hohen Energiepreise bleiben aber ein erheblicher Nachteil im internationalen Standortwettbewerb. Zudem werden für einige besonders hart getroffene Bereiche zusätzliche Programme zur Stabilisierung der Wirtschaftslage bereitgestellt, unter anderem für gemeinnützige Organisationen, Kunst und Kultur sowie die Forstwirtschaft.
Investitionsförderung im Zukunftspaket
Darüber hinaus sieht das Paket auch eine Reihe von investiven Maßnahmen vor. Kurzfristig soll die degressive Abschreibung für die Abnutzung von beweglichen Wirtschaftsgütern (Faktor 2,5 und maximal 25 Prozent pro Jahr) für dieses und nächstes Jahr hingeführt werden. Damit sollen etwa sechs Milliarden Euro als Vorzieheffekt mobilisiert werden. Allerdings stellen sich den Unternehmen im Zuge der digitalen Transformation anspruchsvolle technische Herausforderungen, deren Umsetzung hohe und langfristige Investitionen erfordert. Deswegen muss die degressive AfA deutlich Bewertung des Konjunktur- und Krisenbewältigungspakets der Bundesregierung über 2021 hinaus gelten. Zusätzlich wären Sonderabschreibungen oder Sofortabzugsmöglichkeiten für bestimmte Investitionsbereiche sinnvoll gewesen, um einen noch stärkeren Konjunkturimpuls zu setzen. Kurzfristig sollen auch bereits beschlossene öffentliche Investitionen vorgezogen und bis Ende nächsten Jahres ausgabewirksam werden (Volumen: zehn Milliarden Euro). Zudem erhöht der Bund die Finanzierung von Investitionen in den Bildungssektor (3,5 Milliarden Euro) und erhöht die Dotierung des CO2-Gebäudesanierungsprogramms um je eine Milliarde Euro in 2020/21; dies ist zwar immer noch zu wenig, um die selbstgesteckten Klimaziele in diesem Bereich erreichen zu können, aber immerhin ein richtiger Schritt. Im Zukunftspaket der Regierung sind eine Vielzahl von Fördermaßnahmen enthalten mit einem Volumen von insgesamt 50 Milliarden Euro. Die Fördermaßnahmen im Bereich Mobilität umfassen ein Volumen von rund 14 Milliarden Euro, die für den Klimaschutz zehn Milliarden Euro. Weitere Mittel werden für die Digitalisierung (15 Milliarden Euro) und Gesundheit (knapp zehn Milliarden Euro) bereitgestellt. Insbesondere mit der Verdopplung der Forschungszulage auf eine Million Euro pro Jahr und Unternehmen setzt die Bundesregierung einen wichtigen Impuls für mehr Innovation und Beschäftigung in Deutschland. Allerdings geht die Förderung weiterhin hinsichtlich der Höhe und der Befristung bis 2025 nicht weit genug, um F&E-Funktionen im internationalen Standortwettbewerb in Deutschland nachhaltig zu verankern.
Positiv ist auch die erhöhte Kofinanzierung von Forschungsprojekten der außeruniversitären Einrichtungen mit Unternehmen sowie der projektbezogenen Forschung (zusammen 1,3 Milliarden Euro) und die Erhöhung der Gemeinschaftsaufgabe um eine halbe Milliarde Euro. Der Bund hat zudem beschlossen, die Gemeinden von einigen Kosten zu entlasten, um die ansonsten prozyklische Kürzung von investiven und konsumtiven Ausgaben abzumildern. So wird der Bund die Kosten für Unterkunft und Heizung in der Grundsicherung für Arbeitssuchende mit bis zu 75 Prozent (Erhöhung um 25 Prozentpunkte) unterstützen (vier Milliarden Euro), zudem werden Bund und Länder Gewerbesteuermindereinnahmen ausgleichen (knapp sechs Milliarden Euro), und der Bund wird mit 2,5 Milliarden Euro die ÖPNV-Mindereinnahmen durch Zuschüsse an die Länder stützen. All dies dient hauptsächlich dazu, die notwendigen und in den letzten Jahren viel zu niedrigen kommunalen Investitionen zu schützen.
Konjunkturelle Maßnahmen stützen Wirtschaft
Für eine vollständige Einschätzung der konjunkturellen Wirkung der Maßnahmen sind die Koalitionsbeschlüsse noch nicht genau genug dargelegt worden, dies wird erst mit Vorlage des Nachtragshaushalts und einer genaueren zeitlichen Zuordnung der finanzwirksamen Maßnahmen auf die Jahre 2020 bis 2022 möglich sein. Schon heute lässt sich aber abschätzen, dass die Maßnahmen in diesem Jahr einen Impuls von 1 bis 1½ Prozent des BIP auslösen werden. Während die den Konsum stimulierenden Maßnahmen zeitnah wirken, werden investive und strukturpolitische Maßnahmen erfahrungsgemäß erst mit Verzögerung umgesetzt. Wann diese Maßnahmen ihre konjunkturstützende Wirkung entfalten, ist daher nicht genau vorhersehbar. Dies ist aber auch nicht so entscheidend, da die Erholung sich ohnehin weit ins nächste und übernächste Jahr erstrecken wird und insofern ein konjunktureller Impuls aus dem jetzigen Paket auch im Jahr 2021 noch zielführend sein wird.
Entscheidend war und ist, die Belebung nicht zu spät einsetzen zu lassen, damit nicht vermeidbare Insolvenzen zu einer dauerhaften Schwächung von Produktion und Beschäftigung führen. Diese Gefahr ist durch das Maßnahmenpaket auch nur abgemildert, aber nicht vollständig gebannt. Das ist nicht als Vorwurf zu verstehen, sondern angesichts der hohen Unsicherheit über die Normalisierung des Wirtschaftsgeschehens und den weiteren Verlauf der Pandemie unvermeidbar. Insofern muss in den nächsten Monaten immer neu geprüft werden, ob die Maßnahmen ausreichen. Insbesondere droht ein erhöhtes Insolvenzgeschehen, es ist aber auch nicht möglich, dies verlässlich ex ante einzuschätzen, da die Kombination aus Liquiditätsreserven von Unternehmen, Förderkrediten, normalen Eigenkapital- und Fremdkapitalmaßnahmen im Kreditwesen und am Kapitalmarkt und Erholung des Geschäfts nicht verlässlich prognostizierbar ist. Die Europäische Kommission hat mit der Vorlage der Vorschläge den Bedarf zum Beispiel an neuem Eigenkapital zum Auffangen der Coronabedingten Verluste auf ein Volumen von 750 bis 1.200 Milliarden Euro in Europa geschätzt, eine durchaus plausible Zahl.