Europa muss ein Worst-Case-Szenario verhindern
„Europa muss beim Brexit ein Worst-Case-Szenario verhindern. Eine Trennung des Vereinigten Königreichs von der Europäischen Union ohne Austritts- und Übergangsabkommen und ohne Klärung des künftigen Verhältnisses ist immer noch eine der möglichen Varianten. Wenige Tage vor dem eigentlich entscheidenden EU-Gipfel ist das eine beunruhigende Lage.“ Das sagte BDI-Hauptgeschäftsführer Joachim Lang am Dienstag der Bundespressekonferenz in Berlin.
„Nur mit einer Einigung über den Austritt ist die Übergangsfrist realisierbar, in der das Vereinigte Königreich weiterhin in der Zollunion und im Binnenmarkt verbleibt – und zwar bis zum Jahresende 2020“, unterstrich Lang. „Für unsere Unternehmen ist diese Übergangsfrist unverzichtbar.“ Erst dadurch werde es möglich, sich auf die vielfältigen Änderungen des Rechtsrahmens für die Zeit danach einzustellen.
„Ein harter Brexit wäre ein Desaster, das in Europa Zehntausende von Unternehmen und Hunderttausende von Arbeitnehmern auf beiden Seiten des Ärmelkanals in größte Schwierigkeiten brächte“, warnte Lang. Ein solches Fiasko dürfe sich Europa nicht leisten. Deshalb müssten sich die Verhandlungsführer noch mehr Kompromissbereitschaft abringen. „Der deutschen Industrie geht es darum, die Integrität des Binnenmarktes zu sichern. Der Zusammenhalt der EU-27 hat für uns in der Wirtschaft oberste Priorität“, so Lang.
Die Chequers-Vorschläge der britischen Regierung vom Juli machten der deutschen Wirtschaft Bauchschmerzen. Doch jetzt müsse es darum gehen, aus der verhandlungspolitischen Sackgasse herauszukommen: „Dafür sollte die Politik jetzt nicht auf all das schauen, was nicht möglich ist; sondern dort weitermachen, wo sich Anknüpfungspunkte ergeben.“
Der nächste EU-Gipfel in gut zwei Wochen müsse einen Durchbruch in den Verhandlungen bringen. „Sonst läuft Europa Gefahr, in einen ungeordneten Brexit zu schlittern. Eine massive Krise wäre die Folge“, sagte der BDI-Hauptgeschäftsführer. Nüchtern betrachtet, ließen sich alle sachlichen Fragestellungen sinnvoll beantworten. „Voraussetzung ist, dass sich endlich Realitätssinn in London breit macht. Die Angst vor dem Abgrund muss die Fantasie beflügeln.“
Schon jetzt werfe der Brexit seine Schatten voraus. Das Vereinigte Königreich sei im ersten Halbjahr nur noch um 1,1 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum gewachsen. Das sei das zweitschlechteste Ergebnis in der EU. So schlecht lief es zuletzt in den Krisenjahren 2009 bis 2011.
Viele Unternehmen müssten in diesen Tagen bereits Vorkehrungen für den Fall einer ausbleibenden Einigung und damit für den harten Brexit Ende März 2019 treffen, sagte Lang. Einige hätten angekündigt, die Produktion im Königreich ab April ruhen zu lassen, da sie die Lieferwege nicht sicherstellen könnten. Andere verlagerten bereits Hauptquartiere von der Insel, passten Rechtsstrukturen an und suchten neue Transportwege.
„Die Wirtschaft braucht ein vernünftiges Verhältnis im Außenhandel mit dem Königreich. Dazu gehört mindestens ein Verzicht auf Zölle und Quoten auf Einfuhren aus dem jeweiligen Partnerraum. Wir brauchen, mit anderen Worten, ein gutes Handelsabkommen. Dafür muss sich die Politik in den kommenden Wochen einsetzen“, betonte Joachim Lang.