Globalisierungsszenarien: Herausforderungen für Unternehmen
Für ein zunehmendes Decoupling, also für ein Auseinanderfallen der Weltwirtschaft in Wirtschaftsblöcke, gibt es immer mehr Anzeichen. Auch nach dem Ende der Präsidentschaft von Donald Trump verteidigen die USA ihre geoökonomischen Interessen mit robusten Mitteln. Die aufstrebende Wirtschaftsmacht China verfolgt ihre wirtschaftlichen Ziele im Ausland immer offensichtlicher, etwa durch ihr Seidenstraßen-Projekt. 2020 wurde in Asien mit der „Regionale Comprehensive Economic Partnership“ – kurz RCEP – die größte Freihandelszone der Welt geschaffen. Trotzdem ist die Zukunft der Globalisierung keineswegs vorgezeichnet. Wird sich der Konflikt zwischen den Machtblöcken USA und China weiter verschärfen? Schafft es die EU, sich als eigener, starker Block zu etablieren? Oder bleiben die globalen Kräfteverhältnisse in etwa so bestehen, wie wir es seit der Jahrtausendwende gewohnt sind? Gemeinsam mit der Bertelsmann Stiftung hat der BDI fünf mögliche Szenarien für die Zukunft der Globalisierung ausgearbeitet. Anschließend wurde mit deutschen Unternehmen darüber gesprochen, was die einzelnen Globalisierungsszenarien für ihre Geschäftstätigkeit im Zeitraum von zehn Jahren bedeuten würde.
Zerfällt die globale Wirtschaft in mehrere Blöcke?
Im Mittelpunkt des Interesses stand nicht die Frage, welches Szenario wohl Wirklichkeit werden wird. Für und gegen jedes der fünf Szenarien gibt es gute Argumente. Jenseits von allen Eintrittswahrscheinlichkeiten haben sich die Interviews auf die Frage konzentriert, was das einzelne Szenario konkret für das Geschäft der Unternehmen bedeuten würde. Doch auch, wenn Eintrittswahrscheinlichkeiten nicht das eigentliche Thema waren, hat sich im Verlauf der Gespräche eine Prognose deutlich gefestigt: Die Zukunft der Globalisierung wird konfliktreicher sein als ihre letzten 30 Jahre.
Wären deutsche Unternehmen auf eine Weltwirtschaft in Blöcken vorbereitet?
Die deutschen Unternehmen haben die globalen geoökonomischen Entwicklungen im Blick. Manche Großunternehmen unterhalten dafür spezielle Abteilungen. Auch Familienunternehmen sind häufig international ausgerichtet und können bei der Beschäftigung mit globalen Entwicklungen aus generationenübergreifender Erfahrung schöpfen. Die Möglichkeiten, auf eine Fragmentierung der Weltwirtschaft reagieren zu können, hängen von vielen Faktoren ab, allen voran von der Branche. Zulieferbetriebe könnten auf ein Decoupling durch gesonderte Produktion je Wirtschaftsblock vor Ort reagieren (Nearshoring), möglicherweise zulasten der Produktion in Europa. Wenn der Absatz, aber nicht mehr der Weltmarkt zur Verfügung steht, könnte für manche Unternehmen jedoch die Produktion unrentabel werden, etwa, weil sich hohe Forschungsausgaben dann nicht mehr einspielen lassen. Klar ist: Ein Decoupling der Weltwirtschaft wäre schmerzhaft für die deutsche Industrie.
Welches Zukunftsszenario der Globalisierung wäre für die deutsche Industrie am vorteilhaftesten?
Die Unternehmen der deutschen Industrie sind innovativ und global wettbewerbsfähig. Sie profitieren daher am ehesten von einer Globalisierung mit offenen Grenzen und klaren Regeln für alle Marktteilnehmer – nur dann können sie erfolgreich sein. Das wäre der Fall in einer Zukunft, in der sich die großen Player auf verbindliche Handelsregeln festlegen (Szenario „Reformierter Multilateralismus”). Wir müssen aber leider von einer Zukunft ausgehen, in der die USA und China auf die Abgrenzung von Wirtschaftsräumen hinarbeiten, ohne sich an globale Spielregeln zu halten. Am düstersten sieht die Zukunft für die deutsche Industrie dann in einem Szenario aus, in der eine geschwächte EU den System-Kontrahenten USA und China auf der Weltbühne nichts entgegenzusetzen hätte (Szenario „Welt in der Dauerkrise”). Vorteilhafter wäre in einer konfliktreichen Zukunft ein Szenario, in dem sich die EU erfolgreich als dritter Block auf der globalen Bühne etablieren kann (Szenario „Welt in mehreren Blöcken”).
Werden Globalisierung und globale Lieferketten wieder zurückgedreht?
Die Unternehmen bereiten sich in vielerlei Hinsicht auf ein mögliches Decoupling der Weltwirtschaft vor. Handlungsoptionen für die Unternehmen sind unter anderem der gesonderte Aufbau von Forschungs- und Produktionskapazitäten je Wirtschaftsregion (Nearshoring), die Verlagerung von Geschäftseinheiten in andere Wirtschaftsregionen oder die Fokussierung von Produktion, Zulieferung oder Absatz auf den europäischen Heimatmarkt (Regionalisierung). Für die meisten Unternehmen ist die Fokussierung auf den europäischen Markt aber in ökonomischer Hinsicht keine realistische Option. So befinden sich in manchen Branchen die Wachstumsmärkte ganz oder überwiegend in anderen Weltregionen (etwa IT-, Elektro- oder Automobilindustrie). Zudem kann in vielen Branchen nicht ohne die kostengünstigen Zulieferungen aus Übersee produziert werden, ohne die internationale Wettbewerbsfähigkeit zu verlieren. Eine Regionalisierung der Produktion oder weitgehende „Deglobalisierung” ist für keines der Szenarien zu erwarten.
Kann sich Europa im globalen Standortwettbewerb behaupten?
Europa kann entscheidende Standortvorteile geltend machen: Marktgröße, Fachkräftepotenzial, Infrastruktur und ein stabiler Ordnungsrahmen. Auch in einem Szenario, in dem die USA und China ihren Systemkonflikt immer schärfer austragen, hat Europa grundsätzlich die Möglichkeit, sich als Wirtschaftsstandort und als internationaler Player auf der Weltbühne zu behaupten. Voraussetzung ist allerdings, dass die EU ihre Handlungsfähigkeit zügig ausbaut und die europäische Integration weiter voranschreitet. Die deutschen Unternehmen setzen große Hoffnungen auf eine starke EU als Garant dafür, ihrem Heimatstandort treu bleiben zu können. Eine starke EU könnte als Akteur in der globalen Ordnungspolitik auftreten, die Entwicklungen in der Welthandelsorganisation (WTO) maßgeblich beeinflussen, vorteilhafte Handelsabkommen aushandeln und als geopolitischer Akteur auftreten. Eine nicht handlungsfähige EU droht hingegen von den anderen Großmächten zerrieben zu werden. In einem solchen Szenario besteht die Möglichkeit, dass sich Unternehmensaktivitäten den starken globalen Wirtschaftsblöcken zuwenden.