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Hohe Energiepreise: Warum die ernste Lage der energieintensiven Industrien uns alle betrifft

Die energieintensiven Industrien bilden den Grundstein zahlreicher Wertschöpfungsketten. Sie produzieren Vorleistungsgüter für deutsche Schlüsselbranchen, wie den Maschinenbau oder die Automobilindustrie. Wegen der hohen Energiepreise sind immer mehr Unternehmen gezwungen, ins Ausland abzuwandern oder ihre Produktion zurückzuschrauben. Ein längerfristiges Gesamtkonzept für bezahlbare Energie ist gefragt.

Ob Chemie, Metall, Glas oder Papier – die energieintensiven Industrien stehen am Anfang vieler Wertschöpfungsketten. Sie stellen wichtige Güter und Rohstoffe für Gebäude, Medikamente, Maschinen und Konsumgüter her, die dann in anderen Branchen weiterverarbeitet werden, etwa im Maschinenbau oder der Automobilindustrie. Die Herausforderung: Die energieintensiven Branchen verbrauchen für ihre Produktionsprozesse viel Energie. Wegen der hohen Energiepreise sind viele von ihnen gezwungen, ihre Produktion und Investition am Standort Deutschland zu hinterfragen. Das sollte uns besorgen.

Die energieintensiven Industrien tragen maßgeblich zu unserem Wohlstand bei: Allein 2022 sorgten sie zusammen für Wertschöpfung von circa 241 Milliarden Euro. Sie sind damit für rund ein Fünftel der Wertschöpfung des gesamten verarbeitenden Gewerbes verantwortlich. Unternehmen aus der Grundstoffindustrie sichern 2,4 Millionen Jobs. Auch zum Steuer- und Abgabenaufkommen tragen diese Unternehmen erheblich bei – allein vergangenes Jahr waren das rund 46 Milliarden Euro für den Staat. Brechen diese Industriebranchen weg, verliert Deutschland nicht nur Wirtschaftskraft und Steuereinnahmen. Der dann einsetzende Strukturwandel würde viele Regionen und Familien deutschlandweit hart treffen.

Die hohen Energiekosten und ihre Folgen für die Wirtschaft betreffen uns daher alle. Das macht Holger Lösch, stellvertretender BDI-Hauptgeschäftsführer, deutlich.

Holger Lösch, stellvertretender BDI-Hauptgeschäftsführer, erklärt, warum hohe Energiepreise so ein großes Problem für die deutsche Wirtschaft sind und was dagegen hilft.

Hohe Energiekosten schwächen energieintensive Branchen und globale Wettbewerbsfähigkeit 

Fallen Arbeitsplätze, Rohstoffe und Steuern wegen des Produktions-Aus ganzer Grundstoffindustrien weg, fehlen uns zentrale Zutaten für die grüne und digitale Transformation – und wir machen uns noch abhängiger von Importen. Denn Stahl oder Aluminium stecken in Batterien, Gebäuden, Windrädern und Elektronik, die wir für die Zukunft des Standorts dringend brauchen. Ein Dominoeffekt auf nachgelagerte Branchen ist zu befürchten; über Jahrzehnte gewachsene Innovations-Ökosysteme könnten auseinanderfallen. Die Folgen für die globale Wettbewerbsfähigkeit sowie für die technologische Souveränität Deutschlands dürfen Politik, Wissenschaft und Gesellschaft nicht unterschätzen.

Die Abwanderungssorgen der energieintensiven Unternehmen sind akut und real. Das zeigt das Beispiel der Zinkhütte Glencore Nordenham. Dort wird seit über einhundert Jahren Blei und Zink produziert. Nun ist das Kerngeschäft des Unternehmens aus Nordenham in Gefahr. Die Zinkproduktion musste Geschäftsführer Thomas Hüser bereits drosseln, seit Monaten herrscht Kurzarbeit für die 400 Mitarbeitenden. Der Grund: Die extrem gestiegenen Stromkosten machen das Geschäft unrentabel.

Thomas Hüser, Geschäftsführer der Nordenhamer Zinkhütte, schildert, wie viel für sein energieintensives Unternehmen auf dem Spiel steht.

Die Politik ist gefordert, rasch spürbare und pragmatische Maßnahmen gegen immer weiter steigende Energiepreise zu entwickeln. Wie könnte das Problem gelöst werden?

Keine Dauer-Subventionen: Umfassendes Konzept für dauerhaft bezahlbare und sichere Energie

Die Industrie möchte keine Dauer-Subventionen. Aber sie erwartet von der Politik ein umfassendes Konzept für eine langfristig bezahlbare und sichere Energieversorgung. Mit diesen drei Hebeln kann die Politik dabei helfen, Strom in der Breite für alle günstiger zu machen:

Runter mit staatlichen Abgaben, Umlagen, Steuern auf Strom

Staatliche Abgaben, Umlagen und Steuern auf Strom müssen runter – auf das europäische Mindestmaß. Sie belasten private Haushalte mit über zwölf Cent pro Kilowattstunde und sind für mehr als ein Viertel der Stromkosten verantwortlich. Diese Abgaben zu drosseln, würde jedem Bürger, jeder Bürgerin und jedem Unternehmen helfen – und den Umstieg auf Elektroautos, Wärmepumpen und eine strombasierte Produktion fördern.

Tempo beim Erneuerbaren-Ausbau

Mehr Tempo machen beim Ausbau erneuerbarer Energien und wasserstofffähiger Gaskraftwerke für eine zuverlässige Energieversorgung. Denn mehr Wind und Solar drücken die Strompreise; zudem sind die Kosten für den laufenden Betrieb nach Installation der Anlagen gering.

In Deutschland sollen sich bis 2030 Windkrafträder mit einer Leistung von 115 Gigawatt drehen. Das wäre fast eine Verdoppelung der bisher installierten Leistung. Bei der Solarenergie soll sich die installierte Leistung bis 2030 gegenüber heute auf 215 Gigawatt sogar verdreifachen. Diese Ziele erreichen wir nur mit mehr Flächen und kürzeren Planungs- und Genehmigungsverfahren.

Was tun, wenn der Wind nicht weht und die Sonne nicht scheint? Für diesen Fall braucht es wasserstofffähige Gaskraftwerke, sozusagen als Backup-Option. Die Industrie wartet weiter auf die angekündigte Kraftwerksstrategie der Bundesregierung. Sie ist wichtig, um Unternehmen Versorgungs- und Investitionssicherheit zu geben. Oberste Priorität müssen auch hier schnellere Prozesse sein, damit die CO2-freien Kraftwerke rasch gebaut werden können. Denn noch geht alles viel zu langsam: Statt der notwendigen 5 Windräder werden pro Tag nur rund zwei Windräder gebaut.

Industriestrompreis für besonders betroffene energieintensive Unternehmen

Es braucht ein zeitlich befristetes Instrument – in der öffentlichen Debatte oftmals als Industrie-, Brücken- oder Transformationsstrompreis bezeichnet – für Unternehmen, die im internationalen Wettbewerb besonders unter den hohen Stromkosten leiden. Die Gefahr besteht, dass sie am Standort Deutschland sonst nicht mehr weiterarbeiten können.

 

Anke Reimann, Head Energy Policy, thyssenkrupp Steel Europe AG, erwähnt Anke Reimann, Head Energy Policy, thyssenkrupp Steel Europe AG, schildert die Herausforderungen und Lösungsansätze der steigenden Energiepreise und erklärt, wie die Zukunft der Metallindustrie gestaltet werden kann.

Diese Einzelmaßnahmen sind jedoch nur erfolgreich, wenn die Politik sie zu einem längerfristigen Gesamtpaket zur Senkung der Energiepreise zusammenschnürt. Das ist ein erster wichtiger Schritt zur Verbesserung der heimischen Standortbedingungen.

Es geht um technologische Souveränität und Deutschlands Ruf in der Welt

Die beste Antwort auf die Energiepreiskrise sollte in einer Industrie- und Exportnation nicht das Zurückfahren von Produktion sein. Industriepolitik zunehmend auszulagern, macht uns abhängiger von geopolitischen Wettbewerbern. Wertvolles Know-How, Jobs und technologische Souveränität gehen verloren. So einfach dürfen wir es uns nicht machen. Es ist höchste Zeit für ein klares Bekenntnis der Politik zum Industriestandort Deutschland – nicht nur in Worten, sondern vor allem in Taten. Das beginnt beim Senken der Energiekosten für Unternehmen.

Jetzt gilt es der Welt zu zeigen, dass der klimaneutrale Umbau der Wirtschaft mit der gesamten Industrie – und nicht zulasten einzelner energieintensiver Branchen – funktioniert. Deutschlands Ruf in der Welt steht auf dem Spiel. Der Umgang mit hohen Energiepreisen ist dabei nur eines der vielen noch anzupackenden Standortprobleme.