Kann der Europäische Chips Act seine Versprechen halten?
Halbleiter sind die Bausteine unserer modernen, vernetzten Welt. Gerade deshalb ist es besonders problematisch, dass diese hochkomplexen Chips im Moment Mangelware sind. Weltweit leiden Unternehmen an dem Mangel und beklagen Umsatzverluste. So kosten Engpässe im Zusammenhang mit Halbleitern die Autoindustrie in diesem Jahr 210 Milliarden US-Dollar an Einnahmen. Neben der wirtschaftlichen Wichtigkeit von Halbleitern gibt es hier auch eine politische Dimension, denn Chips sind mit ihrem breiten Anwendungsfeld strategisch wichtig, nicht zuletzt, weil sie eine große Rolle in der Sicherheit sowie in Branchen wie Automotive, Industrial, 6G, Health, aber auch Smart Home spielen. Deshalb hat die Europäische Kommission nun den Europäischen Chips Act vorgelegt, welcher die EU zu einem globalen Player im weltweiten Halbleitermarkt transformieren und die Versorgungssicherheit gewährleisten soll.
Der Europäische Chips Act – groß genug gedacht?
Der Chips Act ist ursprünglich keine europäische Idee. So haben die Vereinigten Staaten bereits im Juni 2021 eine vergleichbare Initiative im Kongress verabschiedet und auch China fördert seine heimische Halbleiterindustrie seit Jahren massiv. Der US Chips Act umfasst ein Investitionsvolumen von etwa 52 Milliarden US-Dollar und es wird geschätzt, dass die chinesische Regierung bis 2025 bereits 150 Milliarden US-Dollar für seine Halbleiterindustrie ausgeben wird. Um in diesem Kontext konkurrenzfähig zu bleiben, will die Europäische Kommission unter anderem 43 Milliarden Euro in die europäische Halbleiterindustrie investieren. Genügt diese Summe aus Sicht der Industrie? Um das beantworten zu können, muss das gesamte Chips Act Paket betrachtet werden.
Der Vorschlag der Europäischen Kommission
Der Europäische Chips Act besteht aus insgesamt vier Dokumenten, welche die sogenannten drei Säulen, ein Paket an Sofortmaßnahmen und das neue Chips Joint Undertaking im Rahmen von Horizon Europe und Digital Europe umfassen. Die erste der drei Säulen ist die „Chips for Europe Initiative“. Sie dient dem Kapazitätsaufbau von „cutting edge“ und Next-Generation Halbleitern, sowie Quantenchips mit öffentlichen Fördermaßnahmen in Höhe von elf Milliarden Euro. Die meisten der Maßnahmen dienen dem Aufbau von Kompetenzen und Know-how. Grundsätzlich ist die Industrie der Meinung, dass die erste Säule sinnvolle Maßnahmen beinhaltet und unterstützt diese. Trotzdem muss die Finanzierung geklärt und der Fokus nicht ausschließlich auf kleinen Strukturgrößen (< 2nm) gelegt werden, denn die Industrie benötigt überwiegend größere Chips. Außerdem sollten spezifische Chemikalien und intelligente Funktionsmaterialien als wichtige Inputs nicht übersehen werden.
Die zweite Säule dient der Gewährleistung der Versorgungssicherheit Europas mit Halbleitern. Das soll durch die Finanzierung von innovativen Produktionsstandorten in der EU ermöglicht werden, was die EU als Halbleiterproduzenten stärken wird. Die zwei Arten von Fabs, Open EU Foundries und Integrated Production Facilities, sind nicht auf bestimmte Technologien oder Strukturgrößen beschränken, was sehr zu begrüßen ist. Unklarheiten herrschen jedoch auch hier noch bezüglich der Finanzierung. Es muss dringend aufgepasst werden, keinen internationalen Subventionswettlauf auszulösen.
Bleibt die Marktwirtschaft auf der Strecke?
Die Mechanismen, die zukünftige Lieferengpässe bewältigen sollen, befinden sich in der dritten Säule, welche die Industrie kritisch sieht. Hier soll die EU-Kommission in Zusammenarbeit mit dem neu ins Leben gerufenen European Semiconductor Board die Lieferketten überwachen und die Möglichkeit bekommen, in Krisenzeiten in die Geschäftstätigkeiten der Unternehmen einzugreifen sowie Exportkontrollen zu verhängen. Das entspricht nicht den marktwirtschaftlichen Prinzipien des europäischen Binnenmarktes. Wann ein Krisenzustand vorliegt, ist außerdem nicht klar definiert zudem bezweifeln wir, dass diese Maßnahmen effektiv der Bewältigung von Lieferengpässen dienen.
Da zu erwarten ist, dass die drei Säulen des Chips Act in frühestens sechs bis zwölf Monaten von den Mitgliedsstaaten angenommen werden, hat die EU-Kommission parallel dazu ein Paket an Sofortmaßnahmen vorgelegt. Dieses Paket soll schneller in die Wirkung kommen, damit es seine Wirkung bereits im jetzigen Halbleitermangel entfalten kann. Die Sofortmaßnahmen orientieren sich an der dritten Säule und können gewissermaßen als Vorläufer dieser verstanden werden. Dementsprechend fällt das Urteil der Wirtschaft hierzu auch eher kritisch aus.
Der letzte Teil des Chips Act ist das Chips Joint Undertaking, welches eine Neuausrichtung des Key Digital Technologies Joint Undertaking ist. Der Fokus wird nun auf Halbleiter gelegt. Zweck der Neuausrichtung ist die Stärkung des Wissensaustauschs der wichtigsten Akteure des europäischen Halbleiterökosystems. Außerdem sollen unter anderem die verschiedenen Forschungs- und Innovationsstrategien koordiniert werden, um die maximale Wirkung zu entfalten. So sollen die Stärken der EU in der Forschung ausgespielt werden.
Wie es nun weiter geht
Als nächstes werden sich die EU-Mitgliedsstaaten mit dem Vorschlag beschäftigen und ihn möglicherweise auch abändern. Der Europäische Chips Act ist grundsätzlich eine gute und nötige Initiative der EU-Kommission, die in den meisten Bereichen erfolgsversprechend ist. Einige Einzelheiten bereiten den Unternehmen, denen der Chips Act helfen soll, jedoch Kopfschmerzen. Es gibt noch große ungeklärte Fragen, wie zum Beispiel die der Finanzierung und wie tief mögliche Markteingriffe werden können. Die Antworten der EU auf diese Fragen werden darüber entscheiden, wie erfolgreich der Chips Act letzten endlich sein wird.