BDI-Präsident Siegfried Russwurm beim Klimakongress © Christian Kruppa

Klimakongress: Täglich wächst das Risiko, weitere Industriebetriebe zu verlieren

Beim Klimakongress betonte BDI-Präsident Siegfried Russwurm, dass es an der Notwendigkeit, den Kampf gegen den Klimawandel energisch zu führen, nichts zu relativieren gibt. Erfolgreich wirtschaften und investieren können Unternehmerinnen und Unternehmer aber nur, wenn die Rahmenbedingungen kalkulierbar sind und wenn die Kostenposition wettbewerbsfähig ist. Beides ist immer weniger gegeben.

„Es gibt viel zu besprechen. Und zwar aus unterschiedlichsten Perspektiven:

  • Der Mittelständler in ländlicher Region. Der Standort eines Großunternehmens im industriellen Ballungszentrum
  • Industrie, Versorger, Betreiber
  • Bund, Länder, Kommunen
  • Politik, Verwaltung, Regulierer

Entsprechend umfassend ist die Agenda heute und morgen. Und gut, dass Sie da sind. Aber nicht gut, wie es um das Thema steht. Leider gibt es wenig Anlass zur Zuversicht. Vieles macht uns in der Industrie erhebliche Sorgen. Einiges macht uns – offen gesagt – fassungslos.

Lassen Sie mich vorab feststellen: An der Notwendigkeit, den Kampf gegen den Klimawandel energisch zu führen, gibt es nichts zu relativieren. Die Ziele, die wir uns für die Dekarbonisierung in Europa und in Deutschland gesetzt haben, sind für uns der Maßstab.

Wir, die Industrie – egal ob kleiner Mittelständler oder großer Konzern – wir wollen diese Ziele erreichen, lieber schneller als langsamer. Aber eines wollen wir nicht: auf der Strecke bleiben, oder deutlicher ausgedrückt: untergehen, weil uns die Konkurrenzfähigkeit abhanden kommt und jede verlässliche Planungsgrundlage fehlt.    

Erfolgreich wirtschaften und investieren können Unternehmerinnen und Unternehmer nur, wenn die Rahmenbedingungen kalkulierbar sind und wenn die Kostenposition wettbewerbsfähig ist. Beides ist immer weniger gegeben.

Die Konsequenz daraus ist ganz real – und desillusionierend:

  • Wertschöpfung, Betriebe und Arbeitsplätze weiter Teile der energieintensiven Industrie an ihren Standorten in Deutschland sind konkret in Gefahr.
  • Industrielle Produktion bricht weg oder wird ins Ausland verlagert.
  • Das Licht an immer mehr deutschen Standorten wird buchstäblich ausgeschaltet.

Ja, das ist dann auch ein Beitrag zur Klimaneutralität: Wo nichts mehr produziert wird, da ist „carbon free“ erreicht. Aber nein, das dürfen wir nicht geschehen lassen. Das wäre fahrlässig, zynisch, ja eine Bankrotterklärung.

Aussagen im öffentlichen Diskurs, die energieintensive Industrie habe in Deutschland ausgedient, Deutschland solle sich auf anderes konzentrieren, irritieren mich massiv. Das ist bestenfalls praxisfern und wird sich als fataler Irrtum erweisen.

Glaubt wirklich jemand daran, wer Stahl, Chemie und andere Basisindustrien verliert, kann dauerhaft nachgelagerte Wertschöpfungsstufen und Kompetenzen hier im Land halten? Kann Ausrüster von Produktionslinien sein, die es hier im Land nicht mehr gibt, mit Maschinen, Anlagen, Automatisierung und Software? Das hat nichts mit künstlichem Festklammern an überkommenen Industrien zu tun.

  • Bahn und Autos benötigen Stahl, Windkraftwerke auch
  • Ohne Chemie keine HighTech - quer durch alle Branchen
  • Ohne Glas kein Haus, aber auch kein Handy und viele Medikamentenverpackungen auch nicht
  • ohne Keramik keine hochdrehende Turbine – eine wasserstofffähige Gasturbine schon gleich gar nicht, und ohne keramische Isolatoren kein Energienetz und kein Schaltgerät

Für Deutschland als Industrie-, Export- und Innovationsland wäre ein solcher Verlust industrieller Kompetenz fatal. Und für den Schutz des Weltklimas wäre nichts gewonnen. Nehmen Sie es als Warnung, als Brandrede, als Weckruf oder einfach nur als Appell -aber machen wir uns endlich ehrlich: Wesentliche Teile der industriellen Produktion in Deutschland stehen auf dem Spiel. Ohne international wettbewerbsfähige Energiekosten für die Unternehmen geht das nicht gut aus.

Was macht die Bundesregierung?

  • Sie hat angekündigt, den Spitzenausgleich für die Stromsteuer auslaufen zu lassen,
  • sperrt sich gegen eine Entlastung stromintensiver Betriebe,
  • lässt im Unklaren, wie die immens hohen Kosten für den Ausbau der Übertragungsnetze geschultert werden sollen und wie das Marktdesign für den Betrieb von wasserstofffähigen Backup-Kraftwerken aussehen soll.
    Von denen brauchen wir laut dem Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz sehr schnell mindestens 25 GW. Wir als BDI kamen in unserer Analyse auf über 40 GW – wenn wir uns nicht auf Importe von unseren Nachbarn verlassen wollen.
    Aber schon 25 GW bedeuten 50 neue Kraftwerke, die geplant, genehmigt und gebaut werden müssen – und finanziert. Heute gibt es dafür keinen Business-Case.

Eine weitere politisch induzierte Verteuerung von elektrischem Strom, während etliche Branchen in extreme Bedrängnis geraten und den Glauben an die Zukunftsfähigkeit ihrer deutschen Standorte verlieren, macht Unternehmerinnen und Unternehmer einfach nur fassungslos.

Was wir zumindest brauchen, sind verlässliche Aussagen zu den Gesamtkosten für den Umbau des Energiesystems - zuvorderst eine seriöse Einschätzung des Stromkostenniveaus jenseits von 2030. Das ist Voraussetzung für den viel diskutierten Brückenstrompreis. Denn dann wüssten wir endlich nicht nur, wo die Brücke heute beginnt, sondern auch wohin sie führt – und wie lang sie sein muss.

Ein erster zwingend gebotener Beitrag zur Rückführung der Stromkosten wäre die Absenkung der deutschen Stromsteuer auf das europäische Minimum und eine deutliche Senkung der schnell steigenden Netzentgelte.
Es braucht aber mehr – und vor allem mehr Klarheit, um wieder zu einer hinreichenden Vertrauensbasis für Investitionen in die Transformation zurückzufinden, an der es so offenkundig fehlt.

Dafür ist eine konkrete, verlässliche Perspektive auf genügend grünen Strom zu global wettbewerbsfähigem Preis zwingend. Gleiches gilt für genügend grüne molekulare Energie, sprich grünen Wasserstoff. Beides ist nicht gegeben.

Ich zitiere den Bundeskanzler: „Die Energiewende wird scheitern, wenn die Genehmigung einer Windkraftanlage mehrere Jahre dauert.“ Und auch das hat der Bundeskanzler gesagt – nochmals wörtlich: „Deutschland hat sich mit Vorschriften zugemauert. Es kann mit dem gegenwärtigen Gesetzesstand gar nicht funktionieren, dass wir unsere Ziele erreichen.“

Manchmal frage ich mich: Wem hält der Bundeskanzler da eigentlich den Spiegel vor? Er hat ja Recht, wenn er sagt, ein Deutschlandpakt muss her. Die Ministerpräsidenten sagen das auch. Und die Union sagt es auch. Aber letztlich wiederholt sich das immer gleiche Spiel: Die einen zeigen auf die anderen. Und alle sagen, an ihnen liegt es nicht. So kommen wir nicht voran.

Nein, das Hin und Her innerhalb der Ampel-Regierung und das Verweisen von Verantwortung vom Bund auf die Länder auf die Kommunen und umgekehrt müssen endlich aufhören. Wir brauchen Entscheidungen. Und wir brauchen ihre Umsetzung im Land, nicht die Ausrede, dafür seien andere zuständig.

Die Erkenntnis, dass wir nicht zum Ziel kommen, wenn wir so weitermachen wie bisher, ist nichts Neues. Wir brauchen die Sicherheit, dass die Dinge real vorankommen. Wir müssen eine „Ermöglichungskultur“ schaffen, damit zum Beispiel Leiter von Genehmigungsbehörden ermutigt und belohnt werden, wenn sie zügig Entscheidungen treffen, statt die Verantwortung über mehrere Gutachter auf möglichst viele Schultern zu verteilen. Ähnliches gilt für die vielfältigen Klagemöglichkeiten nicht unmittelbar Betroffener, die lange Verzögerungen verursachen. Wir brauchen Mut und Freiraum für schnelle Entscheidungen und zur zügigen Umsetzung. Wir brauchen Deutschland-Geschwindigkeit – überall.

Meine Damen und Herren, Deutschland ist definitiv nicht gut unterwegs in Richtung seiner Klimaziele und deren Zeitpläne. Das ist schon schlimm genug. Aber gleichzeitig wächst täglich das Risiko, weitere Teile des produzierenden Gewerbes in Deutschland zu verlieren.  

Lassen Sie uns heute und morgen in aller Klarheit darüber sprechen. Wir sind zum Erfolg verdammt – es gibt keine Alternative. Aber reale Gefahren können und dürfen wir nicht verschweigen. Sie sind mehr als offensichtlich. Deshalb ist „Weiter so“, ist „More of the same“ keine Option. Wir müssen Vieles anders machen.“