Münchner Sicherheitskonferenz: „New Defense: Wie wir das Potenzial unserer Industrie maximieren können“
I. Klare Haltung zeigen – Das „Wollen“
Sehr verehrte Damen, meine Herren, herzlich Willkommen auf unserer gemeinsamen Veranstaltung von vbw und BDI. Sehr herzlich begrüßen möchte ich unsere heutige Keynote-Speakerin, Dovilė Šakalienė, die Verteidigungsministerin Litauens. Und Ihnen Herr Hatz herzlichen Dank für die erneut großartige Zusammenarbeit unserer Häuser. Ich freue mich, diese Tradition zwischen vbw und BDI fortführen zu dürfen.
- Meine Damen, meine Herren, bei der Vorbereitung für heute und der Beschäftigung mit dem Motto unserer Veranstaltung, „New Defense: Wie wir das Potenzial unserer Industrie maximieren können“, wird schnell klar, dass wir das große Potenzial unserer Industrie, unser Land wehrhaft zu machen, viel stärker ausschöpfen müssen.
- Damit das gelingen kann, muss sich Grundsätzliches ändern. Die Überschrift meines Beitrags lautet deshalb „Verteidigung ist eine Haltungsfrage“.
- Wir sind derzeit nicht in der Lage, uns zu verteidigen und wirkungsvoll abzuschrecken. Ein wesentlicher Grund dafür liegt darin, dass Politik, Industrie und Wissenschaft auch in dieser Hinsicht noch zu wenig an einem Strang ziehen. Für unsere Verteidigungsfähigkeit braucht es eine leistungsfähige Rüstungsindustrie. Das eigentliche Potenzial des Westens in dieser Hinsicht liegt aber in unserer breiten industriellen Stärke, die in dieser Breite Teil einer gelebten Sicherheits- und Verteidigungskultur der Gesellschaft werden muss.
- Vor dem Machen kommt das Wollen und das Können. Zu diesem Zusammenhang möchte ich heute ein paar Gedanken formulieren.
- Die Handlungsnotwendigkeit sehen sicherlich fast alle Akteure. Wir müssen unsere Freiheit schützen – entschlossen, wirksam und schnell. Wir haben keine Zeit zu verlieren, denn vor uns liegt eine enorme Aufholjagd. Eben diese wird nur gelingen, wenn Politik und Wirtschaft dazu beitragen, dass wir mancherlei mentale und institutionelle Trägheit überwinden. Das „freundliche Desinteresse“ an Verteidigungsfragen, von dem der verstorbene Bundespräsident Horst Köhler einmal zurecht gesprochen hat, muss einer realistischen Sicherheits- und Verteidigungskultur weichen. Das ist die Haltungsfrage.
- Die dazu nötige Veränderung beginnt im Kopf. Anfang der neunziger Jahre war ein Popsong der Gruppe En Vogue in den Charts erfolgreich. Er richtete sich gegen Vorurteile, trug den Titel „Free your mind“, und eine Zeile des Refrains lautete: „Free your mind, and the rest will follow“ – Befreie Deinen Geist, verändere Deine Einstellung, und der Rest wird folgen. Eine solche Befreiung und Klärung des Denkens und Handelns brauchen wir in vielen Bereichen, sonst wird es mit der Neuaufstellung unseres Landes und Europas nichts.
- Mittlerweile gibt es von einem renommierten Journalisten ein Buch mit dem vielsagenden Titel „Zeiten ohne Wende“ und dem ebenso deutlichen Untertitel „Anatomie eines Scheiterns“. Denn wie die Neuausrüstung und Ertüchtigung der Bundeswehr finanziert und organisiert werden soll, das ist im Grunde immer noch ungeklärt – während in der Ukraine demnächst das vierte Kriegsjahr beginnt.
- Russland verändert die europäische Landkarte mit militärischer Gewalt - und hat dadurch die Sicherheitsordnung in Europa brutal angegriffen.
- Auch wir sind direkt betroffen. Jetzt noch durch hybride Angriffe auf Energie- und Wasserversorgung, Verkehrswege etc. Wenn Russland nicht aufgehalten wird durch Investitionen in Verteidigung und Abschreckung, droht uns noch weitaus mehr.
- Sicherheitspolitik muss deshalb konsequent das Potenzial der gesamten Industrie integrieren.
- Die Regierung und das Parlament sind aber nach meiner Überzeugung nicht allein dafür zuständig, die Finanzierungs- und Organisationsfragen zu klären und zu entscheiden. Sie und die demokratischen politischen Parteien haben auch die Aufgabe, die Öffentlichkeit zu unterrichten über die Wichtigkeit und Dringlichkeit der Verteidigungsfähigkeit. Die Bundesregierung zum Beispiel gibt hohe Summen für die politische Bildung und zur Förderung von Nichtregierungsorganisationen aus, die sich am sogenannten gesellschaftlichen Diskurs beteiligen. Mich würde interessieren, welchen Anteil an all diesen Fördermaßnahmen Publikationen und Initiativen haben, die für die Notwendigkeit der Wiederaufrüstung werben und die zur außen- und sicherheitspolitischen Bildung der Allgemeinheit beitragen.
- Es reicht nicht, sich nur politisch die richtigen Ziele zu setzen. Wir müssen die Gesellschaft dafür gewinnen und die derzeitige passive Zustimmung durch aktive Beteiligung aller ersetzen.
- Nur in einem solchen Meinungsklima kommt nämlich ein Sog zustande, der alle Lebensbereiche erfasst, der alle Beteiligten unter Begründungs- und Leistungsdruck setzt und der dafür sorgt, dass wirklich schnell, entschieden und wirksam geschieht, was dringend geschehen muss: Die Neuaufstellung.
- Die Ertüchtigung der Bundeswehr muss mit einer glasklaren Kommunikation zur Sicherheitslage Hand in Hand gehen. Wir brauchen eine echte strategische Debattenkultur zu Sicherheit und Verteidigung – über das gesamte Land hinweg.
- Anne Applebaum hat es in ihrer Friedenspreisrede im vergangenen Jahr genau auf den Punkt gebracht: Wer sich für zu fein hält oder für zu pazifistisch, um die Wiederaufrüstung zu bejahen, „der hat rein gar nichts aus der Geschichte des 20. Jahrhunderts gelernt.“
- Für Anne Applebaum lautet „die eigentliche Lehre aus der deutschen Geschichte: Nicht, dass Deutsche nie wieder Krieg führen dürfen, sondern dass sie eine besondere Verantwortung dafür haben, sich für die Freiheit einzusetzen und dabei auch Risiken einzugehen.“ Und wir reden ja nicht einmal von Risiken – wir reden davon, mit Blick auf die Sicherheitslage alles zu tun, um dank Abschreckung nicht Krieg führen zu müssen.
- Für diese geforderte Debattenkultur gibt es vorzügliche Beispiele. Als die amerikanische Regierung den Marshall-Plan entwickelte, um den kriegszerstörten Ländern Europas zu helfen, da entwarf sie zugleich einen „Marshall Plan to sell the Marshall Plan“, einen Werbefeldzug, um die zunächst skeptische amerikanische Öffentlichkeit von dem Plan zu überzeugen.
- Genau einen solchen „Plan to sell the Plan“ benötigen wir heute für das Thema Wiederaufrüstung. Ich wiederhole mich: Uns drohen ganz aktuell Aggressoren mit Einschüchterung, Krieg und Unterdrückung, wenn wir sie nicht wirksam abschrecken können. Als Reaktion benötigt es auch politische Öffentlichkeitsarbeit für die daraus folgenden Gebote der Selbsterhaltung.
II. Unsere Stärken nutzen – Das „Können“
- Erst wenn unser Geist dadurch befreit ist, wenn sich die Haltung ändert, können wir auch ins Handeln kommen.
- Im Bereich der Bildung aber auch in der Forschung sind Universitäten und Hochschulen hier die führenden Institutionen. Nach meiner Wahrnehmung herrscht im höheren Forschungswesen ein Meinungsklima, in dem Rüstung, Soldaten und Wehrbereitschaft als unappetitlich gelten, als etwas, von dem man sich lieber fernhält – nicht zuletzt angesichts der deutschen Verbrechen in der Vergangenheit und angesichts mancher militärischer Verirrung des Westens nach dem Zweiten Weltkrieg.
- Wenn wir Verteidigungsfähigkeit wirklich ernst nehmen und als gesamtgesellschaftliche Aufgabe begreifen, dann ist es notwendig unserem Können keine ideologisch motivieren Riegel vorzuschieben. Entscheidend wird hier sein, die sogenannten Zivilklauseln an wissenschaftlichen Einrichtungen ersatzlos zu streichen. Diese Klauseln bestimmen, die wissenschaftliche Forschung dürfe allein zivilen Zwecken dienen. Das ist wissenschaftlich betrachtet von vorvorgestern, denn fast jede Innovation hat heute Dual-Use-Aspekte und –Potentiale. Es ist aber auch politisch aus der Welt gefallen.
- Aus meiner Sicht verfügen wir in Deutschland unverändert über eines der führenden Innovationssysteme der Welt. Unser einmaliger Verbund aus exzellenter Grundlagenforschung, angewandter Forschung, Großunternehmen, Mittelstand und Deep Tech Startups ist hervorragend. Sicherlich gibt es bei Priorisierung, Koordination und Umsetzung noch Verbesserungspotenzial, aber die Schlagkraft insbesondere für Themen, die für Defense und Industrie wichtig sind, ist groß.
- Das Ergebnis ist eine hohe Expertise in der KI, Datatech, Cybersecurity und Space – alles wichtig für mehr Verteidigungsfähigkeit.
III. Innovation als Schlüssel für Sicherheit und Wohlstand – Das „Machen“
- Unser innovatives Können ist vermutlich unsere wertvollste Ressource. Um diese besser zu nutzen, ist eine dauerhafte Steigerung des Etats für Sicherheit und Verteidigung dringend notwendig.
- Und das heißt, diese Mittel müssen sich wirklich in mehr Einsatzfähigkeit, mehr Fähigkeiten und in Summe größerer Abschreckungsfähigkeit übersetzen.
- Es geht nicht nur um die Höhe des Verteidigungsetats – 2 %, 3,5 % oder mehr des BIP. Entscheidend ist, wie diese Mittel eingesetzt werden. Dafür braucht es neben der richtigen Haltung auch strukturelle Veränderungen, die Innovation ermöglichen, statt sie zu bremsen.
- Als Industrieland müssen wir gezielt in militärisch nutzbare Innovationen investieren. Dies wird übrigens auch das gesamte Innovationsökosystem nachhaltig stärken.
- Die Bundeswehr und die Beschaffungsprozesse müssen sich daher stärker an die Geschwindigkeit und Agilität der allgemeinen Industrie anpassen – nicht umgekehrt.
- Start-ups und junge Unternehmen brauchen darüber hinaus gezielte Ankeraufträge, um nach dem Leitmarktprinzip das Entstehen von Kompetenzen, die für die Rüstung relevant sind, erst zu ermöglichen.
- Hier können wir viel von unseren ukrainischen Freunden lernen. Sie haben aus der Not eine Tugend gemacht: Mit Innovationseinheiten wie BRAVE1 setzen sie den globalen Benchmark dafür, wie man pragmatisch, schnell und zielgerichtet neue Technologien in die Truppe und aufs Gefechtsfeld bringt. Deutschland sollte sich davon eine Scheibe abschneiden – nicht nur in den Strukturen, sondern vor allem im Mindset.
- Gezielte Investitionen in Zukunftstechnologien wie KI, unbemannte Systeme, Weltraumfähigkeiten und digitale Vernetzung sind Beispiele. Diese werden aber nicht nur unsere Verteidigungsfähigkeit stärken, sondern auch Innovationsimpulse für die gesamte Wirtschaft setzen.
- Die USA und Israel machen es vor: Die enge Verzahnung von Militär, Wirtschaft und Forschung treibt dort auch den zivilen Fortschritt voran. Diesen strategischen Vorteil müssen auch wir für Deutschland erschließen. Höhere Verteidigungsausgaben bieten die Chance, das deutsche Innovationsökosystem nachhaltig zu stärken – besonders in Technologiebereichen, in denen wir derzeit nicht führend sind. Dafür braucht es Tempo und Pragmatismus.
IV. Schluss
- Meine Damen und Herren, free your mind, and the rest will follow – das gilt natürlich nicht zuletzt auch im Bereich der Industrie. Vor dem Machen kommt das Wollen und das Können – und die Haltungsfrage betrifft wie schon eingangs erwähnt die gesamte Industrie. Und hierauf möchte ich abschließend noch kurz zu sprechen kommen.
- Wir Unternehmen und Unternehmer haben es uns in der Vergangenheit oft leicht gemacht, indem wir uns unter Vorgabe von Corporate Governance oder eigenen ethischen Vorstellungen im Grunde nur um die Diskussion, ob man in der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie aktiv ist oder nicht, gedrückt haben. Das moralische Argument war unangreifbar. Die Diskussion war erledigt.
- Auch wir in der Wirtschaft müssen unseren nötigen Beitrag zu einer wehrhaften Demokratie neu bewerten und damit den Wert der Verteidigungsfähigkeit und der notwendigen Güter innerlich bejahen.
- Wer sich der Entwicklung und Herstellung von Verteidigungstechnik– und Technologien widmet, der sollte nicht länger das Gefühl haben müssen, er betreibe da ein fragwürdiges und moralisch angreifbares Geschäft.
- Er sollte innerbetrieblich, branchenintern und gesellschaftlich mit Respekt und Anerkennung rechnen dürfen, denn er baut mit an dem Schutzwall, der unsere Freiheit und die Freiheit unserer Verbündeten gegen militärische Bedrohungen, hybride Angriffe und ideologische Aggressionen sichert. Um dies zu erreichen, um diesen Respekt und die Anerkennung fordern zu können, ist aber Haltung die Voraussetzung.
- Zu der neuen Haltung müssen auch neue Fähigkeiten hinzukommen – der zweite Schritt, das Können. Viele deutsche Unternehmen und Betriebe stehen vor der Aufgabe, die Produktion von Gütern, die für die Verteidigung unserer Sicherheit und unseres Landes zum Einsatz kommen, fast von Grund auf neu zu erlernen. Verteidigungsgüter müssen völlig anderen Ansprüchen genügen als zivile Güter. Auch in Bereichen wie Vertrieb, Produktmanagement, Qualitätssicherung und Informationssicherheit sind Verteidigungsgüter nicht einfach olivgrün angestrichene Zivilprodukte.
- Und natürlich ist bei alledem eine enge Zusammenarbeit sowohl mit den Anwendern – den Soldatinnen und Soldaten – als auch mit den Armeen und Unternehmen der Verbündeten nötig. Gerade unter den europäischen NATO-Partnern sind Themen wie die Reduzierung der grotesken Typenvielfalt eine never ending story. Wann wollen wir damit beginnen, wenn nicht endlich jetzt?
- Meine Damen und Herren, ich bin, wie Sie vielleicht gemerkt haben, ein wenig ungeduldig, aber ich bin auch zuversichtlich. In den westlichen Demokratien gibt es große Mehrheiten für den Schutz und die Verteidigung unserer Freiheit und unserer Art des Zusammenlebens. Diese Mehrheiten werden sich davon überzeugen lassen, dass wir abwehrbereit werden müssen und sie werden dem Projekt den nötigen politischen Rückenwind geben. Es ist allerdings eben auch nötig, dass einige vorangehen, dazu sind wir bereit.
Herzlichen Dank.