Reform der Industrienetzentgelte darf die internationale Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie nicht noch weiter gefährden
Die Beschlusskammer 4 der Bundesnetzagentur beabsichtigt, eine von § 19 Abs. 2 Stromnetzentgeltverordnung (nachfolgend StromNEV) abweichende Festlegung zur Setzung systemdienlicher Anreize zu erlassen. In den Eckpunkten stellt die Bundesnetzagentur die „wesentlichen Hintergründe und Ziele des Festlegungsvorhabens“ dar. Die Bundesnetzagentur weist darauf hin, dass sich die Erzeugerlandschaft wesentlich verändert habe. Dies führe auch zu veränderten Erfordernissen im Netzbetrieb. Es sei eine “Neubewertung der Anreize“ erforderlich, die durch Sondernetzentgelte gesetzt würden. Der BDI begrüßt, dass die Bundesregierung mehr Flexibilität für das Energiesystem zur Verfügung stellen will. Er erkennt an, dass sich die Erzeugerlandschaft durch den Prozess der Energiewende und den damit verbundenen tatsächlichen und auch regulatorischen Veränderungen wesentlich verändert hat. Dies wirkt sich auch auf die bisherige Organisation des Abnehmermarktes aus, der – im Rahmen der technischen und wirtschaftlichen Möglichkeiten – auch kompatibel zu der sich verändernden Erzeugerlandschaft ausgestaltet werden sollte.
Droht eine neue Belastung durch die Industrienetzentgelte?
Unabhängig davon ist darauf hinzuweisen, dass der Industriestandort Deutschland durch eine Veränderung – die Bundesnetzagentur spricht von einer „Fortentwicklung“ – der Industrienetzentgelte im Elektrizitätsbereich nicht noch weiter gefährdet werden darf. Bei einer Neuregelung der Industrienetzentgelte nach § 19 Abs. 2 StromNEV ist deshalb auch darauf zu achten, dass nicht-privilegierte Industrieunternehmen nicht zusätzlich belastet werden. Insbesondere muss die vergünstigte Umlage für das produzierende Gewerbe (Letztverbrauchergruppe C) zwingend beibehalten werden. Der BDI bekennt sich auch weiterhin zur Transformation hin zu einer klimaneutralen Erzeugung und Produktion. Eine klimaneutrale Produktion erfordert in zahlreichen Branchen primär eine Elektrifizierung – beispielsweise durch den Einsatz von grünem Strom sowie durch die Nutzung von elektrolytisch hergestelltem Wasserstoff. Die derzeitige Ausgestaltung der Industrienetzentgelte reizt eine betriebliche Dekarbonisierung über Elektrifizierung an. Um diese Transformation weiter erfolgreich zu gestalten – und wenn Deutschland klimaneutral werden und ein starkes Industrieland bleiben möchte – sind ausreichend verfügbare Mengen an erneuerbarem Strom zu international wettbewerbsfähigen Preisen zwingend erforderlich.
Appell an die Bundesnetzagentur
Deshalb der Appell an die Bundesnetzagentur: Es geht bei diesem Vorhaben nicht nur um die allgemeinen Befugnisse zur Ausgestaltung der Netzentgeltsystematik, die die Bundesnetzagentur nach dem EnWG zweifelsohne hat. Zudem ist die Bundesnetzagentur auch ermächtigt, bereits vor dem Auslaufen der StromNEV (31.12.2028) zur geltenden Rechtslage abweichende und ergänzende Regelungen zu treffen. Bei diesem Vorhaben geht es um mehr: Es geht um die Zukunft des Industriestandortes Deutschland. Nicht nur für die direkt betroffenen Unternehmen. Auch für die in den Wertschöpfungsketten betroffenen Unternehmen.
Individuelle Netzentgelte sind zentral für die internationale Wettbewerbsfähigkeit
Ein ersatzloser Wegfall oder deutliche Rückgang der Netzentgeltreduktion hätte erhebliche negative Folgen für diejenige Industrie, die bisher § 19 Abs. 2 StromNEV in Anspruch nehmen. Der BDI begrüßt die Absicht der Bundesnetzagentur, dass bestehende Vereinbarungen über individuelle Netzentgelte nach § 19 Abs. 2 StromNEV „nicht unmittelbar ihre Wirkung verlieren“ sollen (Eckpunkte, S. 8). Den Letztverbrauchern sollen „hinreichende Übergangsfristen“ (Eckpunkte, S. 8) gewährt werden. Die Steigerung der Netzentgelte – im Extremfall um Faktor 5 bis 10 zzgl. etwaiger weiterer Anstiege – würde die Stromkosten weiter in die Höhe treiben. Die Situation im internationalen Wettbewerb insbesondere der energieintensiven Industrie würde sich weiter verschärfen.
Die Erbringung von Flexibilität, sofern überhaupt möglich, sollte auch in Zukunft nur freiwillig und mit angemessener Vergütung erfolgen
Flexibilitätspotenziale sollten vorrangig über positive Anreize gehoben werden. Es ist nicht primär Aufgabe der Industrie, Flexibilität anzubieten. Auch wenn die Industrie sich zur Energiewende und zur Klimaneutralität bekennt, ist die Industrie nicht primär dafür verantwortlich, dass das Energiesystem auch unter den neuen Gegebenheiten mit zahlreichen volatilen Einspeisern funktioniert. Nur wenn die Kostenvorteile durch eine am Strompreis orientierte Fahrweise größer sind als die Nachteile durch die Abkehr von der ansonsten – bisherigen und auch weiterhin – technisch sinnvolleren gleichmäßigen Fahrweise, könnte dies nach einer längeren Übergangszeit für Unternehmen eine denkbare Alternative bzw. Lösung sein.
Die Stromnetzentgeltverordnung sollte mindestens bis Ende 2028 in Kraft bleiben
Die Stromnetzentgeltverordnung (StromNEV) sollte mindestens bis 31.12.2028 in Kraft bleiben. Sie sollte nicht, wie von der Bundesnetzagentur derzeit beabsichtigt, vorzeitig schon Ende 2026 enden. Fakt ist, dass die „konkrete Ausgestaltung eines Begünstigungstatbestandes, der systemdienliches Verhalten durch Lasten anreizen soll, nach eigenem Bekunden der Bundesnetzagentur „zusätzlichen Erkenntnisgewinn im Hinblick auf die tatsächlichen Möglichkeiten der Lastenseite“ (Eckpunkte, S. 10) erfordert. Nicht schlüssig ist hingegen, wie ohne erfolgten „zusätzlichen Erkenntnisgewinn im Hinblick auf die tatsächlichen Möglichkeiten der Lastenseite“ bereits über das „ob“ der Vorverlagerung des Inkrafttretens von 2028 auf 2026 entschieden werden kann. Ferner soll die Festlegung des beabsichtigten neuen Sondernetzentgelts „keiner engen zeitlichen Befristung unterliegen“ (Eckpunkte, S. 8 f.). Folglich sollte auch die Bundesnetzagentur ein ureigenes Interesse daran haben, dass Festlegung inklusiv neues Sondernetzentgelt und Übergangsregelung auch langfristig Bestand haben. Dies setzt in sachgerechter Weise zwingend einen umfassenden Erkenntnisgewinn und dessen Auswertung voraus. Dies wiederum erfordert ein Fortbestehen der heutigen Regelung, solange bis die Erhebung und Bewertung der Flexibilitätspotenziale durchgeführt worden sind.
Ausblick
Alles deutet darauf hin, dass sich die Situation – auch unabhängig von der von der Bundesnetzagentur geplanten Reform der Industrienetzentgelte – noch weiter für den Industriestandort Deutschland und damit auch für Deutschland insgesamt negativ verschärfen wird. Auch dies gilt es bei dem beabsichtigten Vorhaben der Bundesnetzagentur aus unserer Sicht zu berücksichtigen. Seitdem der staatliche Zuschuss zu den Übertragungsnetzentgelten im Rahmen von Haushaltskürzungen im Bundeshaushalt weggefallen ist, haben sich die Kosten – und damit eine wesentliche Strompreiskomponente neben dem reinen Beschaffungspreis – ab dem Jahr 2024 bereits verdoppelt. Dies führt in vielen Industriebranchen bereits zu erheblichen Gesamtkostensteigerungen. Zudem müssen, sofern insoweit nicht noch eine Änderung eintritt, bis zum Jahr 2045 alleine für die Übertragungsnetze mindestens 240 Milliarden – und voraussichtlich noch deutlich mehr – aufgebracht werden. Auch dies führt dazu, dass die Netzkosten langfristig auf hohem Niveau bleiben oder sogar noch weiter ansteigen werden. Für viele Unternehmen sind die hohen und weiter steigenden Stromnetzentgelte eine ernsthafte Bedrohung ihrer Existenz. Die von der Bundesnetzagentur geplanten Änderungen dürfen die Kostenlast nicht noch weiter erhöhen. Denn dies würde die im internationalen Vergleich bereits bestehende wettbewerbliche Schieflage des Industriestandortes Deutschland gefährlich weiter verstärken. Die von der Bundesnetzagentur beabsichtige „Fortentwicklung“ der Industrienetzentgelte im Elektrizitätsbereich sollte vielmehr im Einklang mit den Erfordernissen und insbesondere den technischen Anforderungen der deutschen Industrie erfolgen.