Außenwirtschaftspolitische Zusammenarbeit mit Autokratien
Die deutsche Industrie ist stark in die Weltwirtschaft eingebunden. Deutsche Unternehmen exportierten 2020 Güter im Wert von 570 Milliarden Euro ins Nicht-EU-Ausland und importierte von dort Waren im Wert von 478 Milliarden Euro. Mit knapp der Hälfte seiner Aus- und Einfuhren (mehr als 47 Prozent und 46 Prozent) ist Deutschland damit auch mit Ländern außerhalb der EU wirtschaftlich eng verzahnt. Für die deutsche Industrie, in der jeder zweite Arbeitsplatz am Export hängt, gilt dies ganz besonders.
Gerade weil die Industrie erheblich von der Globalisierung profitiert, muss sie sich auch den Schattenseiten der internationalen Handelspartnerschaften stellen. Das Prinzip „Wandel durch Handel” stößt zunehmend an Grenzen. Es hat sich gezeigt, dass unsere Wirtschaftspartner nicht automatisch das liberale Wirtschafts- und Gesellschaftsmodell übernehmen. Marktwirtschaft, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit haben sich nicht im Gleichschritt mit dem Wachstum des Welthandels verbreitet und durchgesetzt. Die Erwartungen an das „Ende der Geschichte”, auf ein Durchsetzen liberal-demokratischer Werte und Strukturen, wurden enttäuscht. Im Gegenteil ist seit einigen Jahren ein Erstarken autoritärer Systeme zu beobachten. Diese Entwicklung stellt Unternehmen und Politik vor Herausforderungen.
Wandel durch Handel vs. Verantwortungsvolle Koexistenz
Grundsätzlich eröffnet die globale Vernetzung unseren Unternehmen Möglichkeiten, nicht nur unsere Güter und Dienstleistungen, sondern auch unsere Werte in die Welt zu tragen. Bedingung ist allerdings, dass diese Werte sich auch erkennbar bewähren. Ohne wirtschaftliche Stärke, ohne nachahmenswerten Wohlstand ist es langfristig nicht möglich, Menschen von Demokratie und Marktwirtschaft zu überzeugen. China und Russland sind Staaten, die unsere Werte derzeit besonders herausfordern und sich dabei systematisch als Gegengewichte zum „überliberalisierten” Westen inszenieren. Gleichzeitig stehen diese Länder für signifikante Anteile an unseren Handels- und Investitionsströmen.
Wie sollen sich europäische Staaten und die Unternehmen gegenüber diesen Staaten verhalten? Unter dem Stichwort „verantwortungsvolle Koexistenz” diskutiert der BDI darüber, wirtschaftliche und politische Ziele in ein tragfähiges Verhältnis zueinander zu bringen. Notwendig ist dabei auch die Definition fester Grundsätze für das eigene Wirtschaften, wie etwa
- Demokratie und Rechtsstaatlichkeit sind die Grundlagen, auf denen wir die internationale Ordnung mitgestalten wollen.
- Die einzelnen Unternehmen müssen Gewinne erwirtschaften können, um langfristig wettbewerbsfähig zu bleiben. Prinzipien für eine verantwortungsvolle Koexistenz, die unternehmerischen Erfolg unmöglich machen, können nicht nachhaltig sein.
- Wirtschaftliche Stärke ist Voraussetzung für soziale Sicherheit und Wohlstand. Eine Gesellschaftsordnung, die weder Wohlstand noch Sicherheit hervorbringt, wird sich im globalen Wettbewerb der Systeme nicht als Vorbild behaupten können.
Für die deutsche Industrie ist klar, dass Außenwirtschaftsbeziehungen für Staaten und Unternehmen klare Grenzen erfordern. Unternehmen sind weder Instrumente der Außenpolitik, noch können sie regierungsähnliche Strukturen ersetzen. Es liegt nicht im europäischen Interesse, dass Wirtschaftsakteure sich von vornherein aus Regionen zurückziehen, deren Standards nicht mit denen der EU vergleichbar sind. Unternehmen werden jedoch auch in solchen Staaten die Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit wahren, gemäß den internationalen Standards die Sicherheit von Beschäftigten und der Umwelt wahren sowie unter Achtung und strikter Einhaltung der Menschenrechte handeln. Nur so können sie nachhaltige Produktionsbedingungen im Ausland erhalten und im Ausland das Wohlwollen in der Gesellschaft für ihre Aktivitäten erwarten. Auch wird sich der Rückhalt der Menschen in Europa gegenüber den Auslandsaktivitäten unserer Unternehmen immer daran bemessen, inwieweit sie europäischen Wertevorstellungen gerecht werden.
Gleichzeitig müssen Staat und Unternehmen akzeptieren, dass grundlegend unterschiedliche gesellschaftliche Systeme längerfristig nebeneinander bestehen und miteinander konkurrieren werden. Auch von verantwortungsbewussten Unternehmen kann nicht erwartet werden, Veränderungen herbeizuführen, solange die Staaten untätig bleiben. In Anbetracht der globalen ökologischen und ökonomischen Herausforderungen ist Kooperation jedoch eine unabdingbare Notwendigkeit. Dies gilt insbesondere für Bereiche wie den Klimaschutz, den Erhalt der Artenvielfalt, den globalen Schutz vor Krankheiten und die Digitalisierung aller Lebensbereiche. Ein Rückzug aus fremden Märkten und ein Zurückdrängen unseres Einflusses in der Welt ist keine Option.
Beginn einer europäischen Diskussion
In der marktwirtschaftlichen Demokratie sind Unternehmen wichtige Akteure der Gesellschaft. Sie profitieren von den positiven Eigenschaften der westlichen Gesellschaftsordnung, tragen aber auch Verantwortung für deren Funktionieren. Global agierende Unternehmen spielen eine wichtige Rolle bei der Gestaltung der Beziehungen zu Drittstaaten. Deshalb müssen Wirtschaftsakteure auch zu politischen Fragen Stellung beziehen. Der BDI will eine Debatte zu diesen Fragen in Deutschland und der EU anregen und vertiefen und darüber hinaus eine Orientierungshilfe für Unternehmen und Politik bieten.