Plädoyer für mehr Europa und weniger nationale Alleingänge
Überdurchschnittlich viele Unternehmen der deutschen Rüstungsindustrie haben in den vergangenen Jahren Innovationen am Markt etabliert. In der gesamten deutschen Wirtschaft lag dieser Anteil lediglich bei 42 Prozent. 55 Prozent der Unternehmen der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie (SVI) entwickeln ihre innovativen Produkte durch gemeinsames Forschen mit Betrieben aus anderen Wirtschaftszweigen. Die Branche ist vor diesem Hintergrund sehr eng mit der Gesamtindustrie verflochten. Viele deutsche Unternehmen haben eine militärische und eine zivile Sparte. Leider erleben wir jedoch zunehmend, dass die militärische Sparte für die Unternehmen an Bedeutung verliert. Dies liegt nicht zuletzt auch an den politischen Rahmenbedingungen.
Sicherheitspolitik breiter diskutieren
Miteinander reden ist wichtig: Aus Sicht des BDI müssen wir Sicherheitspolitik breiter diskutieren. Wir müssen die Themen der Außen- und Sicherheitspolitik wieder besser vermitteln, auch gegenüber einer breiten Öffentlichkeit. Miteinander reden bedeutet, eine ernsthafte Diskussion führen zu können und unterschiedliche Sichtweisen auszutauschen. Angesichts der immer komplexer werdenden sicherheitspolitischen Herausforderungen sollte es in unser aller Interesse liegen enger zusammenzuarbeiten. Vor diesem Hintergrund hätten wir uns gewünscht, dass das Bundeswirtschaftsministerium die „Kommission zur Zukunft der Rüstungsexportkontrolle“ zu Beginn der Legislaturperiode ins Leben ruft und nicht im Vorwahlkampf. Hier wurde aus unserer Sicht leider die Chance eines breit angelegten, ergebnisoffenen Austausches mit allen Stakeholdern vertan. Mittlerweile ist auch nicht mehr von der ursprünglich angedachten „Kommission“ sondern von einem „Konsultationsprozess“ die Rede.
Der BDI bekennt sich zu den „Politischen Grundsätzen“ der Bundesregierung und unterstützt die verantwortungsvolle Rüstungsexportpolitik. Wir begrüßen deshalb die Veröffentlichung aller Stellungnahmen auf der Internetseite des Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi), denn der sicherheitspolitische Diskurs – und dazu gehört auch Rüstungspolitik – darf nicht nur in geschlossenen Kreisen stattfinden.
Unsere Welt ist in Unruhe geraten. Die sich abzeichnende neue Weltunordnung, in der es wenig Konstanten und eine Vielzahl unerwarteter politischer Entwicklungen gibt, ist Gift für die wirtschaftliche Entwicklung und unsere Unternehmen. Geopolitik ist zu einem zentralen Thema für Unternehmen weltweit geworden: Kriege, zerfallende Staaten, Flüchtlingsströme, Terrorangriffe, der Ölpreis und auch Cyberangriffe beherrschen die Diskussionen. Geopolitische Unsicherheiten haben nicht nur negative Folgen für die direkt betroffenen Märkte, sondern auch für die Weltwirtschaft insgesamt. Durch die Globalisierung ist Deutschland eng mit den politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen anderer Staaten verbunden. Als rohstoffabhängiges und exportorientiertes Land sind wir auf Stabilität und Sicherheit in besonderem Maße angewiesen. Die deutsche Sicherheitspolitik hat sich dabei in den letzten Jahren verändert. Bereits Anfang 2014 hat die Bundesregierung ein größeres internationales Engagement Deutschlands angekündigt und schrittweise auch verwirklicht. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat mehrfach angekündigt die Militärausgaben deutlich zu erhöhen und der Verpflichtung der NATO – zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung auszugeben – nachzukommen. Auch mit dem neuen Weißbuch 2016 hat die Bundesregierung wiederholt die Bereitschaft erklärt, international mehr sicherheitspolitische Verantwortung zu übernehmen und sich stärker als bisher für Sicherheit, Frieden und eine regelbasierte Weltordnung einzusetzen. Dies wird angesichts unseres wirtschaftlichen und politischen Gewichts von unseren europäischen sowie transatlantischen Partnern auch so erwartet.
Rüstungsexporte sind nicht zuletzt – im Rahmen der gesetzlichen Regelungen – auch Mittel zur Einflussnahme und Politikgestaltung. Sie sind Instrumente deutscher Außen- und Sicherheitspolitik. Als Bündnispartner ist Deutschland auch aufgrund seiner Sicherheits- und Verteidigungsindustrie gefragt. Im Koalitionsvertrag betont die Bundesregierung die Bedeutung einer verstärkten europäischen und transatlantischen Rüstungszusammenarbeit. Deutschland kann hier mit seinen wettbewerbsfähigen und höchst innovativen Unternehmen viel einbringen. Das nationale Interesse an der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie wird klar unterstrichen – aus wirtschaftlicher, technologischer und sicherheitspolitischer Sicht. Erklärtes Ziel ist der Erhalt von nationalen Schlüsseltechnologien und Fähigkeiten.
Industrie bekennt sich zu verantwortungsvoller Rüstungsexportpolitik
Die Erteilung von Ausfuhrgenehmigungen wehrtechnischer Produkte ist immer ein hochsensibler Prozess, bei dem zahlreiche außen-, sicherheits-, industrie- und außenwirtschaftspolitische Aspekte sorgfältig miteinander abgewogen werden müssen. Wir begrüßen, dass alle Vorhaben intensiv geprüft werden. Es gab hier stets eine partnerschaftliche Zusammenarbeit mit den politischen Entscheidungsgremien und den zuständigen öffentlichen Stellen. Doch derzeit besteht nicht der Eindruck, dass die Genehmigungspraxis mit den außen- und sicherheitspolitischen Zielen der Bundesregierung synchronisiert ist.
Das neue sicherheitspolitische Selbstverständnis Deutschlands können wir nur mit einer eigenen leistungs- und wettbewerbsfähigen Verteidigungsindustrie realisieren. Mit modernen, verlässlichen und vertrauenswürdigen Technologien „Made in Germany“ kann Deutschland seine Handlungsfähigkeit bewahren und darüber hinaus internationale Partner und Verbündete unterstützen. Der Export ist aufgrund eines Exportanteils von ca. 50 Prozent (Wifor-Studie) entscheidend für den Erhalt von Schlüsseltechnologien: man kann nicht nationale Schlüsseltechnologien definieren, ihnen aber gleichzeitig ihre wirtschaftliche Basis entziehen, indem sie weder in Deutschland beschafft werden und gleichzeitig der Export erschwert wird. Wenn die Bundesregierung im Koalitionsvertrag ein Bekenntnis zu einer leistungsstarken und konkurrenzfähigen Verteidigungsindustrie verankert hat, dann dürfen dem Rüstungsexport keine übermäßigen Wettbewerbsnachteile im europäischen und internationalen Rahmen auferlegt werden. Uns fehlen insgesamt ein konzeptioneller Zusammenhang und die konsequente Umsetzung der sicherheitspolitischen Strategiepapiere der Bundesregierung.
Eine strategische Ausrichtung ist aus Sicht der Industrie notwendig, wenn Deutschland auch in zehn oder zwanzig Jahren noch über eine Sicherheits- und Verteidigungsindustrie als einem Kernelement nationaler Souveränität verfügen will. Die Politik muss sich ihre eigenen strategischen Ansätze zu Eigen machen. Die Beschlüsse und Ziele aus dem Strategiepapier als auch aus dem Weißbuch dürfen kein bloßes Lippenbekenntnis bleiben, es müssen Taten folgen. Politik entscheidet letztendlich über die Zukunft der Rüstungsindustrie, weil diese „nur“ einen Kunden hat – nämlich den Staat.
Leider müssen wir feststellen, dass es an dieser Stelle eine Diskrepanz zwischen Ankündigung und Umsetzung gibt – ich denke hier z. B. an die Rede von Bundesminister Gabriel vor der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik und die Ankündigung des 10-Punkte-Papiers. Leider ist es bei Ankündigungen in Bezug auf „mehr Europa“ geblieben. Es wurde keine europäische Initiative von Seiten des BMWi in Sachen Konsolidierung und/oder Export gestartet.
Ohne Industriepolitische-Initiativen der Bundesregierung und insbesondere des BMWi wird es aber, der Rüstungsmarkt ist, wie dargestellt, kein klassischer Markt, nicht gehen. Der erklärte politische Wille – im Strategiepapier, wie auch im Weißbuch – ist eine stärkere europäische Zusammenarbeit im Bereich der wehrtechnischen Industrie. Das hat aber auch zur Folge, dass unsere europäischen Partner durch die in Deutschland betriebene Praxis in Mithaftung genommen werden. Unser Ruf – und damit der unseres Landes – als verlässlicher Partner ist deshalb nicht nur bei unseren Kunden, sondern auch bei unseren Partnerländern in Gefahr.
Stichwort Kooperationsfähigkeit: Deutschland muss auch zukünftig ein zuverlässiger Kooperations- und Bündnispartner bleiben. Ein nationaler Sonderweg oder eine Abkehr von der bisherigen Praxis der Einzelfallbeurteilungen gefährdet hingegen das über viele Jahre aufgebaute Vertrauen bei unseren Partnern, sowohl in der Europäischen Union (EU) als auch in der NATO. Wir müssen unseren Handlungsspielraum als aktiver europäischer Partner erhalten. Dazu müssen wir verhindern, dass das Label „Made in Germany“ durch das Label „German Free“ abgelöst wird. Der Umgang mit unserer Industrie braucht eine klare strategische Fundierung. Es braucht Beständigkeit und Berechenbarkeit auch im Export und kein mediales Bashing, um das deutsche Gewicht bei der politisch gewollten Gestaltung einer europäischen Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik zu erreichen.
Gemeinsame europäische Rüstungsexportpolitik muss Ziel sein
Grundlage dazu muss eine gemeinsame europäische Rüstungsexportpolitik sein. Europaweit muss die Exportgenehmigungspraxis harmonisiert werden. Eine Harmonisierung der europäischen Rahmenbedingungen für den Rüstungsexport bzw. die innergemeinschaftliche Verbringung ist mehr als überfällig. Denn Rüstungsexport kann schon lange nicht mehr als rein nationale Angelegenheit, Stichworte sind hier die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) und Rüstungskooperation, behandelt werden. Schon im Jahr 2009 veröffentlichte die EU das sogenannte „Defence Package“ mit den Richtlinien 2009/81/EG (Vergaberichtlinie) und 2009/43/EG (Verbringungsrichtlinie) neue Vorschriften für die Beschaffung und innergemeinschaftliche Verbringung von Rüstungsgütern. Ziel der neuen Richtlinien war es, die europäischen Märkte für Verteidigungs- und Sicherheitsbeschaffungen zu öffnen und transparenter zu machen und die Bedingungen für die innergemeinschaftliche Verbringung von Verteidigungsgütern zu vereinfachen. Damit sollte die Grundlage für die Entwicklung und den Ausbau einer europäischen rüstungstechnologischen und -industriellen Basis (European Defence Technological Base, EDTIB) befördert werden, die fähigkeitsgetrieben, kompetent und wettbewerbsfähig ist. Denn eine gemeinsame und integrierte europäische Sicherheits- und Verteidigungsindustrie funktioniert nur mit einem entsprechenden Binnenmarkt, der es allen Beteiligten ermöglicht diskriminierungsfrei ihre Güter innergemeinschaftlich anzubieten und zu verbringen. Stichworte sind hier Liefersicherheit (Security of Supply) und Lieferketten (Supply Chains).
Ohne eine innergemeinschaftlich garantierte Liefersicherheit und damit eine gewisse Verlässlichkeit kann sich weder ein Käuferland, noch ein Systemintegrator auf einen Zulieferer einlassen; Lieferketten zerbrechen bzw. kommen überhaupt nicht zustande. Und somit wären auch alle Pläne und Beschlüsse (Verweis auf Ratsschlussfolgerungen 2013/2015) zu mehr europäischer Kooperation bei Planung, Beschaffung, Betrieb und Forschung hinfällig. Wenn es zu einer wie auf dem Europäischen Rat 2015 beschlossenen Stärkung der europäischen Verteidigungsindustrie, oder zu einer wie von Kommissionspräsident Juncker in seiner „Rede zur Lage der Union“ geforderten „innovativen europäischen Rüstungsindustrie“ kommen soll, brauchen wir gemeinsame europäische, harmonisierte und verlässliche Rahmenbedingungen. Hierzu gehören zuallererst gemeinsame Standards und deren wechselseitige Anerkennung und Verlässlichkeit hinsichtlich der innergemeinschaftlichen Verbringung.
Die Industrie erwartet sich diesbezüglich von der laufenden Überprüfung der Verbringungsrichtlinie und dem angekündigten European Defence Action Plan Signale in die richtige Richtung. Europäische und nationale Politiken dürfen sich nicht weiterhin widersprechen. Der Export von Gütern mit doppeltem Verwendungszweck (Dual-Use) ist bereits europäisch geregelt. Für Unternehmen ist Rechts- und Planungssicherheit entscheidend. Wir brauchen eine konsistente und langfristig verlässliche Exportkontrollpolitik – und das auf EU-Ebene.
Wenn wir als Europäer keine gemeinsame Linie bei Sicherheits- und Verteidigungsfragen finden, wo dann? Konsequenz: Wir werden mittel- und langfristig sicherheitstechnisches Know-how verlieren. Und damit verlieren wir auch sicherheitspolitische Souveränität und zuletzt auch an Sicherheit. Im Kontext des sich stetig verschlechternden Sicherheitsumfeldes, ist es höchste Zeit enger zusammenzuarbeiten und die Verteidigungsfähigkeiten auf europäischer Ebene zu stärken. Mit der jüngsten Deutsch-Französischen Initiative hin zu einer umfassenden Verteidigung in der EU, wurde erkannt, dass die Kooperation zwischen EU-Mitgliedstaaten vertieft werden muss: „Unser Ziel muss es sein, Verteidigungskooperationen überall dort zu erreichen, wo dies möglich und wünschenswert ist.“
Auch die EU Global Strategy on Foreign and Security Policy fordert ein stärkeres Europa in Sicherheits- und Verteidigungsangelegenheiten und eine glaubwürdige, effektive und reaktionsfähige GSVP. Alle Mitgliedstaaten sind aufgerufen, ihre Kooperation zu verstärken und das Potential des Vertrags von Lissabon voll auszuschöpfen. All diese Strategien müssen jetzt umgesetzt werden.
Deutschlands sicherheitspolitische Handlungsfähigkeit hängt von seiner Einbettung in europäische und transatlantische Strukturen ab. Eine Stärkung der NATO und der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der EU sind erklärte Ziele der Bundesregierung. Derzeit bestreitet Deutschland jedoch einen Sonderweg: Wir brauchen mehr Europa und weniger nationale Alleingänge.
Zeit für „Schmidt/Debré 2.0“
Wenn es im Bereich der europäischen Rüstungskooperationen nicht nur bei bloßen Lippenbekenntnissen bleiben soll, dann ist es aus unserer Sicht an der Zeit eine Neuauflage im Geiste des Schmidt/Debré Abkommens aus dem Jahr 1972 voranzubringen. Europäische Regierungen sollten sich nicht gegenseitig daran hindern, Rüstungsgüter aus gemeinsamer Entwicklung oder Fertigung auszuführen. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund der jüngsten deutsch-französischen Initiative hin zu einer engeren europäischen Zusammenarbeit in der Verteidigungspolitik. Wir brauchen ein verbindliches, lassen Sie es mich, „Schmidt/Debré 2.0-Abkommen“ nennen, um europäische Kooperationen stärker zu ermöglichen. Die größte europäische Volkswirtschaft bürdet einen Großteil der Kosten für ihre Sicherheit ihren Partnerstaaten auf – vor allem den USA. Doch wir erleben gerade jetzt, dass eine fairere Lastenteilung zunehmend eingefordert wird. Zurecht, betreffen doch die meisten Aufgaben des Bündnisses die europäische Sicherheit. Es ist Zeit, mehr Geld für Sicherheit auszugeben und unser technologisches Know-how und unsere Fähigkeiten zu nutzen und auszubauen.
Die Politik braucht in ihrem Umgang mit der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie eine klare strategische Ausrichtung. Diese muss sich langfristig in allen relevanten Politikfeldern wiederfinden: in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik, der Rüstungspolitik, der Außenpolitik und eben auch in der Wirtschaftspolitik. Der entscheidende Schlüssel ist und bleibt der Export.