Abwarten ist das größte Risiko
Mit dem Titel „The Great Puzzle: Who will pick up the pieces“ beschreibt der Munich Security Report die Hauptaufgabe der 55. Münchner Sicherheitskonferenz (Munich Security Conference, MSC). Ein neuer Wettbewerb zwischen den USA, Russland und China wird darin ebenso konstatiert wie die Abwesenheit einer Führungsfigur, die sich für den Erhalt der liberalen Weltordnung starkmacht. „Abwarten stellt das größte Risiko dar“, warnt deshalb BDI-Präsident Dieter Kempf. Denn der Beschuss der liberalen, regelbasierten Weltordnung, den Kempf im vergangenen Jahr feststellte, hat in den letzten zwölf Monaten weiter zugenommen. Als Exportnation und größte Volkswirtschaft Europas kann es sich Deutschland nicht leisten, am Rand zu stehen. Angesichts der Ergebnisse der in sieben Ländern durchgeführten aktuellen Umfrage des Pew Research Centers erscheint ein deutsches Engagement umso unverzichtbarer: der deutschen Bundeskanzlerin und dem französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron wird eine positive Gestaltung der internationalen Politik am ehesten zugetraut.
Angesichts enormer globaler Herausforderungen – von Fragen der internationalen Abrüstung bis hin zur Handels- oder Klimapolitik – muss Europa sich mehr denn je auf einen gemeinsamen außen- und sicherheitspolitischen Kurs verständigen. Abwarten kann keine Lösung sein.
Um den Dialog über zentrale sicherheitspolitische Fragestellungen bei der MSC in München voranzutreiben, engagierte sich der BDI auch in diesem Jahr mit mehreren Diskussions- und Dialogforen.
Künstliche Intelligenz: eine sicherheitsrelevante Schlüsseltechnologie
Im Fokus stand dabei das Thema Künstliche Intelligenz (KI). Mit dem Positionspapier Künstliche Intelligenz in Sicherheit und Verteidigung hat die deutsche Industrie bereits Handlungsempfehlungen an die Politik entwickelt und wichtige ethische Fragestellungen adressiert. Der BDI strebt ein Verbot vollautonomer letaler Waffen an und plädiert dafür, Künstliche Intelligenz als militärische Schlüsseltechnologie einzustufen. Die letzte Entscheidung über Leben und Tod muss jedoch immer beim Menschen liegen. Gleichzeitig darf Deutschland die Entwicklung sicherheitspolitischer KI nicht verschlafen, sondern muss diese fördern und das Knowhow schützen. Im Rahmen der Vorfeldveranstaltung, die gemeinsam mit der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (vbw) durchgeführt wurde, wurde diese Diskussion vertiefen und in die Öffentlichkeit getragen.
Mehr Eigenständigkeit für mehr Handlungsfähigkeit in Europa
Wie fundamental die sich verändernden Rahmenbedingungen der internationalen Politik sind, zeigt die Umfrage des Pew Research Centers. Demnach sieht die deutsche Bevölkerung eine größere Bedrohung durch die USA (49 Prozent), als durch China (33 Prozent) oder Russland (30 Prozent).
„America first“ im Westen und die erstarkenden Mächte im Osten machen die Frage nach der strategischen Autonomie Europas, einer stärkeren Eigenständigkeit der Europäischen Union in der Außen- und Sicherheitspolitik, umso bedeutender. Europa muss endlich stärker zusammenrücken, um in Zukunft seine Interessen zu vertreten – dies ist im Rahmen der diesjährigen MSC mehr als deutlich geworden.
Doch was strategische Autonomie ausmacht, in welchem Ausmaß sie politisch und industriell notwendig ist und welche Schritte zur Umsetzung nötig sind, ist bislang nicht ausreichend definiert. Ein Ansatzpunkt zur sicherheitspolitischen Stärkung Europas ist eine intensivere Zusammenarbeit bei der Entwicklung und Beschaffung von Waffensystemen. Hier besteht großes Potenzial zur Senkung der Kosten sowie zur Entwicklung eines gemeinsamen strategischen Verständnisses.
Die Europäischen Union setzt sich bereits mit unterschiedlichen Instrumenten für bi- und multinationale Rüstungskooperationen ein. Dies ist von besonderer Bedeutung, denn insbesondere für die innovative deutsche Sicherheits- und Verteidigungsindustrie bietet die Förderung von Gemeinschaftsprojekten große wirtschaftliche Chancen. Ein starkes und handlungsfähiges Europa ist darüber hinaus im Interesse der gesamten deutschen Industrie. Auf den bereits zwischen Deutschland und Frankreich vereinbarten Kooperationsprojekten, wie dem gemeinsamen Kampfflugzeug (Future Combat Air System, FCAS) und dem gemeinsamen Kampfpanzer (Main Ground Combat System, MGCS) lässt sich aufbauen. Es mangelt bisher jedoch an einem gemeinsamen Verständnis bei zentralen Fragestellungen, unter anderem beim Export. Eine Regelung darüber, wann ein gemeinsam entwickeltes und produziertes System ins Ausland verkauft werden darf, ist eine Grundvoraussetzung für die Umsetzung der beschlossenen Projekte. Hier prallt die restriktive deutsche Exportpraxis auf die französischen Vorstellungen. Für mehr Europa, wird sich die Bundesregierung hier bewegen müssen.
Weltraum: Zukunftsmarkt mit enormem Potenzial
Die sicherheitspolitische und ökonomische Bedeutung des Weltraums wird immer größer. Dieser sich rasant entwickelnde Zukunftsmarkt birgt großes Potenzial für die deutsche Industrie.
Raumfahrtanwendungen sind für das Industrieland Deutschland von zentraler Bedeutung. Sie sind der Schlüssel und die Voraussetzung für Zukunftstechnologien wie autonomes Fahren, die Digitalisierung und Industrie 4.0.
Mit Blick auf die Anforderungen zur Vernetzung in einer modernen Industrie- und Informationsgesellschaft wird ihre Bedeutung weltweit weiter steigen. Unternehmensberatungen gehen davon aus, dass sich der globale Raumfahrtmarkt bis 2040 auf bis zu 2.700 Milliarden US-Dollar mehr als verzehnfachen wird. Gleichzeitig könnte der Weltraum zum Gefechtsfeld der Zukunft werden. Space Force sowie eine im All stationierte Raketenabwehr sind keine Science Fiction, sondern Inhalt amerikanischer Regierungspolitik. Der BDI greift dieses Thema frühzeitig auf und bringt sich in den kommenden Monaten aktiv in die Erarbeitung des deutschen Weltraumgesetzes ein.