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Klima 2030: Wie können wir die nationalen Klimaschutzziele im Verkehr erreichen?

Der Verkehr steht in den nächsten Jahren vor einem fundamentalen Wandel. Die Herausforderungen sind enorm. Autos und Nutzfahrzeuge, Bahnen und öffentlicher Verkehr, Binnenschiffe sowie die internationalen Verkehrsträger Luftverkehr und Schifffahrt – alle müssen ihren Beitrag zur schrittweisen Dekarbonisierung unserer Mobilität leisten.

Deutschland und die Europäische Union haben sich ambitionierte Ziele zur Klimaneutralität gesetzt. So will Deutschland bereits 2045 klimaneutral sein. Die EU will dieses Ziel fünf Jahre später erreichen. Diese Ziele umzusetzen, bedeutet einen gewaltigen Kraftakt für Gesellschaft, Verwaltung, Wirtschaft und Wissenschaft. Mobilität und Logistik sind integraler Bestandteil dieser umfassenden Transformation. Unser Mobilitätsverhalten und Logistikprozesse sowie viele Gewohnheiten werden sich grundlegend verändern.

Gleichzeitig ist das Industrieland Deutschland als eine der führenden Exportnationen auf leistungsfähige Güterverkehre und Logistik angewiesen. Und nicht zuletzt ist Deutschland der Standort vieler führender Fahrzeughersteller, Zulieferer, Mobilitäts- und Logistikdienstleister, Infrastrukturplaner, -bauer, -betreiber.

Wie kann die Dekarbonisierung der Mobilität gelingen?

Auch wenn die aktuellen Herausforderungen durch hohe Energiepreise, Lieferengpässe bei Rohstoffen und Vorprodukten die Komplexität der Transformationsaufgabe noch weiter erhöhen: Es gibt keinen Zweifel mehr daran, dass wir unsere Mobilität und die Logistikprozesse schrittweise klimaneutral ausgestalten müssen. Offen bleibt die Frage, wie eine solche Transformation in wenigen Jahren gelingen kann. Dazu haben die gemeinsame Studie „Klimapfade 2.0 – Ein Wirtschaftsprogramm für Klima und Zukunft“ von BDI und der Strategieberatung BCG und die BDI-Handlungsempfehlungen bereits im Jahr 2021 Wege und passgenaue Instrumente aufgezeigt.

Für den Verkehr heißt das konkret: Im Mobilitätssektor brauchen wir einen Instrumentenmix mit übergreifenden und sektorspezifischen Maßnahmen. Die Instrumente sind darauf ausgerichtet, zügig den erforderlichen Infrastrukturaufbau, insbesondere bei Schiene sowie Lade- und Tankinfrastruktur, durchzusetzen, die Nutzung fossiler Brennstoffe effektiv zu verteuern, erneuerbare Technologien günstiger anzubieten, den Hochlauf von alternativen Antrieben und Kraftstoffen vor allem im Straßenverkehr fundamental zu beschleunigen, den erheblichen Investitionsbedarf für Bürgerinnen und Bürger sowie für Unternehmen tragbar auszugestalten und entscheidende Weichen für die Treibhausgasneutralität im Jahr 2045 zu stellen.

Kernergebnisse zur Transformation der Mobilität: Was ist bis 2030 zu tun?

Der Mobilitätssektor muss seine Treibhausgasemissionen gegenüber dem Basisjahr 2019 um 48 Prozent reduzieren. Das erfordert rund 220 Milliarden Euro an Mehrinvestitionen. Der Neuzulassungsanteil batterieelektrischer Pkw muss 90 Prozent betragen, um den Hochlauf der Pkw-Bestandsflotte auf 14 Millionen Elektrofahrzeuge im Jahr 2030 zu erreichen. Für den Beitrag der Bestandsflotten von Pkw und Lkw zur Dekarbonisierung des Straßenverkehrs braucht es bis 2030 mindestens 22 Prozent grüner Kraftstoffe. Das heißt: Wasserstoff und PtL als strombasierte Kraftstoffe sowie nachhaltige Biokraftstoffe der 1. und 2. Generation. Dabei wird sich der Bedarf an PtL-Kraftstoffen auf rund 3,3 Millionen Tonnen belaufen. Diese PtL-Mengen müssen importiert werden. Zusätzlich bedarf es einer konsequenten Stärkung der Schiene, damit die Bahn ihre Verkehrsleistung bis 2030 um 40 Milliarden Personenkilometer und 22 Milliarden Tonnenkilometer steigern kann.

Leitgedanke der Studie Klimapfade 2.0 ist es, die Klimaschutzziele im Verkehr ohne Mobilitätsverluste für Bevölkerung und Wirtschaft, sozial und ökonomisch ausgewogen zu erreichen. Deshalb muss der Fokus in den nunmehr verbleibenden acht Jahren auf einem in sich schlüssigen Instrumentenbündel liegen. Dieses muss technologieoffen und mit den zurzeit auf europäischer Ebene diskutierten Fit-for-55-Vorhaben konsistent umgesetzt werden. Vor diesem Hintergrund konzentriert sich die Studie darauf, die beiden zentralen Hebel zur Treibhausgasminderung im Verkehr, den Antriebs- und den Kraftstoffwechsel, mit Hilfe eines konsistenten Instrumentenbündels zu realisieren. Weitere Hebel wie Verkehrsträgerwechsel und Effizienzsteigerung auch aufgrund von Digitalisierung sind für das Erreichen des Klimaschutzziels im Verkehr unverzichtbar, werden aber in der Studie nicht vertieft adressiert.

Instrumente für die Transformation der Mobilität

Deshalb definiert die Studie Klimapfade 2.0 vier gezielte sektorspezifische Instrumente und zwei sektorübergreifende Instrumente.

Die Technologien für den erforderlichen Antriebs- und Kraftstoffwechsel sind weitgehend verfügbar.

  • Es gilt, die Anreize für einen beschleunigten Markthochlauf der Elektromobilität bei Pkw mit Hilfe von zwei Instrumenten zu stärken: Über eine umfassende Investitionsförderung für den raschen Aufbau von Lade- und Tankinfrastrukturen sowie die Fortführung der Kaufanreize für alternative Antriebe in einem durch den konkreten Markthochlauf erforderlichen Umfang.
  • Für den Antriebswechsel im Straßengüterverkehr braucht es vor allem die Fortführung und Verstärkung der Anreize für alternative Antriebe bei der Lkw-Maut, bis ein breites Marktangebot bei batterieelektrischen und Brennstoffzellen-Lkw verfügbar ist.
  • Für alternative Antriebe im Luftverkehr sollte ein Technologie-Demonstratorprogramm gestartet werden.
  • Der Markthochlauf von strombasierten Kraftstoffen (PtL) zur Dekarbonisierung der Bestandsflotten bei Pkw und Nutzfahrzeugen sowie des Luft- und Seeverkehrs muss über entsprechende Quoten und einen Fördermechanismus abgesichert werden.

Mit Blick auf die sektorübergreifenden Instrumente kommt es insbesondere auf Folgendes an:

  • Fossile Energieträger im Verkehr gilt es schrittweise durch eine höhere CO2-Bepreisung über eine harmonisierte EU-Energiesteuerrichtlinie und einen möglichst EU-weiten Emissionshandel für Straßenverkehr zu verteuern.
  • Der Ausbau der Verkehrsinfrastrukturen, v. a. für den Verkehrsträgerwechsel auf die Schiene, muss forciert werden.

Herausforderung für die Politik

Die Bundesregierung muss auch in der Mobilität sehr schnell sehr viele Weichen stellen. Dafür benötigt Deutschland sowohl eine effektivere und politisch besser koordinierte politische Steuerung auf Bundes- und Landesebene als auch eine erhebliche Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren und eine Verkürzung von Gerichtsverfahren zu Infrastrukturprojekten. Für jahrelange Planungs- und Genehmigungsverfahren bei Infrastrukturen aller Sektoren Energie, Industrie, Verkehr und Gebäude sowie bei Industrieanlagen lassen die ehrgeizigen Klimaziele keine Zeit mehr.

Die Bundesregierung setzt sich zum Teil sogar noch ambitioniertere Ziele in ihrem Koalitionsvertrag. So sollen beispielsweise 2030 mit 15 Millionen E-Fahrzeugen eine Million zusätzliche Elektroautos in Deutschland zugelassen sein als die Studie Klimapfade 2.0 bei maximaler Ausreizung der erforderlichen Instrumente unterstellt. Die Bundesregierung bleibt daher aufgefordert, mit klugen Weichenstellungen den beschleunigten Ausbau von Elektromobilität zu flankieren.

Denn die beiden zentralen THG-Minderungshebel Antriebs- und Kraftstoffwechsel verhalten sich wie kommunizierende Röhren: Wenn der Hochlauf der Elektrifizierung langsamer als nach Abschätzung der Autorinnen und Autoren der Studie verläuft, müssten insbesondere die Beimischungsquoten für CO2-neutrale Kraftstoffe schneller steigen, um die Klimaziele im Verkehr zu erreichen. Kommt der Markthochlauf der E-Fahrzeuge schneller voran, stehen CO2-neutrale Kraftstoffe früher für die internationalen Verkehrsträger Luft- und Seeverkehr zur Verfügung.

Zum Hintergrund

Die BDI/BCG- Studie „Klimapfade 2.0“ schlägt ein Wirtschaftsprogramm für Klima und Zukunft aus rund 20 Instrumenten vor, welches den Aufbau zukunftsfähiger Infrastruktur vorantreibt, die Energie-, Verkehrs- und Wärmewenden deutlich beschleunigt sowie den treibhausgasneutralen Umbau von Deutschlands industrieller Basis einleitet. Mit der Studie und den BDI-Handlungsempfehlungen stellte der BDI im Jahr 2021 eine detaillierte Machbarkeitsstudie vor, wie sich die ehrgeizigen Klimaschutzziele für 2030 und 2045 mit schnellem Handeln und ohne Fehlinvestitionen auf nationaler Ebene erreichen lassen. Die Studie zeigt: Die Transformation zum klimaneutralen Industrieland ist möglich. Doch Klimaschutz kostet und er muss sich rechnen – für die Unternehmen und für die Bürgerinnen und Bürger.

Mit der ersten Studie „Klimapfade für Deutschland“ von 2018 hat der BDI einen Aufschlag für eine breite gesellschaftspolitische Debatte vorgelegt. Die Ergebnisse zum Mobilitätssektor hat eine tiefergehende Analyse zum Erreichen der Klimaschutzziele im Verkehr bis 2030 aus dem Jahr 2019 ergänzt.

Beim Tag der Industrie 2020 sprachen wir mit Hildegard Müller, Präsidentin des Verbandes der Automobilindustrie, über die Rahmenbedingungen für eine klimaneutrale Mobilität. © BDI