Wer handelt, gewinnt
Immer wenn ein Land in einem Bereich besonders gut ist, suchen (und finden meist) dessen Produkte und Dienstleistungen den Weg zum Kunden auch außerhalb der Landesgrenzen. Es ist die Geburt eines neuen Exportschlagers. Die Schweizer exportieren ihre Uhren in die ganze Welt, China Computer und Fernsehgeräte und die Vereinigten Staaten sind besonders stark bei Finanz- und Internetdienstleistungen. Jeder macht, was er am besten kann. So funktioniert der Welthandel, so profitiert jeder von jedem.
Wertschöpfungsketten sind heute stark internationalisiert. Vor- und Zwischenprodukte, Anlagenteile und industrienahe Dienstleistungen werden über Landesgrenzen hinweg gehandelt, um von Tochterunternehmen oder Industriekunden weiter- oder endverarbeitet zu werden. Laut WTO waren im Jahr 2017 46,5 Prozent der deutschen Güterexporte und fast 51,6 Prozent der Güterimporte Vorprodukte.
Hinzu kommt, vor allem beim Handel zwischen den Industrieländern, der Handel von gleichen Produkten. Deutschland produziert beispielsweise Automobile und exportiert diese unter anderem nach Schweden. Auch in Schweden werden Autos produziert und finden ihre Abnehmer in Deutschland. Der Grund hierfür liegt unter anderem in Produktdifferenzierungen und Konsumentenpräferenzen.
Grenzüberschreitender Handel ermöglicht Unternehmen, Technologievorsprünge ausnutzen zu können. Davon profitieren die Exporteure, aber genauso die Kunden, weil sie aus einer größeren Produktpalette die für sie passenden Angebote aussuchen können. Vom Handel profitieren also immer mindestens zwei Seiten.
Außerdem: Mehr Handel macht das Produzieren wirtschaftlicher, über Spezialisierung und Größeneffekte: Wenn ein Maschinenbauer nicht nur wenige Maschinen eines bestimmten Typus herstellt, sondern für einen weltweiten Abnehmerkreis hohe Stückzahlen fertigt, kann er effizientere Produktionsmethoden einsetzen. Er kann Teile normieren und vorfertigen und Arbeitsabläufe automatisieren. Und auf je mehr Produkte sich seine Fixkosten verteilen, desto günstiger kann jede Maschine angeboten werden. So kann der Unternehmer günstiger produzieren und der Kunde muss tendenziell weniger bezahlen.
Dennoch tun sich Staaten bisweilen mit dem Abbau von Handelsbarrieren schwer, weil mit der Öffnung der Märkte auch Konkurrenz auf den eigenen Markt kommt und sich heimische Anbieter anpassen müssen. In der Summe sind die gesellschaftlichen Effekte regelmäßig positiv. Eine Vielzahl wissenschaftlicher Studien belegt, dass Handelsliberalisierung und Wirtschaftswachstum positiv miteinander korrelieren. Mehr Wettbewerb bedeutet grundsätzlich mehr Angebot, Innovationsdruck und sinkende Preise. Allerdings bringt Handel auch Umverteilungseffekte mit sich. Nicht alle Unternehmen werden den Wettbewerb erfolgreich meistern können. Umso wichtiger ist, dass Staaten in Aus- und Weiterbildung investieren und Sozialsysteme den Anpassungsdruck abfedern können.
Handelsnation Deutschland
Deutschland weiß seit langem die Vorteile der Globalisierung zu nutzen. Heute macht der Export von Gütern und Dienstleistungen rund die Hälfte der deutschen Wertschöpfung aus. Jeder vierte Arbeitsplatz hängt vom Export ab, in der Industrie sogar mehr als jeder zweite. Dabei kommt es nicht nur auf die Exporte an. Der Produktionsstandort Deutschland ist auch hochgradig auf preiswerte Importe angewiesen. Rund 25 Prozent des Mehrwerts (value added), der 2015 in deutschen Güterexporten steckte, gehen laut WTO direkt auf ausländische Zulieferungen zurück.
Seit Jahren steht Deutschland weit oben auf der Rangliste der größten Handelsnationen. Waren und Dienstleistungen zusammengerechnet ist das Land die Exportnation Nummer drei, nur China und die USA verkauften im Jahr 2018 weltweit mehr. Genauso zählt Deutschland nach den USA und China auch zu den Top-Drei Importnationen. Ohne die Einbindung der deutschen Industrie in verlässliche, internationale Wertschöpfungsketten auch für Vorprodukte, könnte Deutschland seine Position als wettbewerbsfähiger Exporteur nicht halten.
Handelsabkommen: freier Handel, starke Regeln
Durch den weltweiten technischen Fortschritt sinken die Transportkosten kontinuierlich. Gleichzeitig belasten jedoch Zölle und eine Vielzahl sogenannter nicht-tarifärer Handelshemmnisse den weltweiten Handel. Den Preis zahlen die Konsumenten in Form höherer Preise und in Form der Nichtverfügbarkeit besserer Produkte und Dienstleistungen.
Das ist freilich keine unveränderbare Gesetzmäßigkeit. Unter dem Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommen (GATT; ab 1947) und später unter der Welthandelsorganisation (WTO; ab 1995) haben Länder ihre Märkte geöffnet. Darüber hinaus haben sich Staaten in über 300 Handelsabkommen (notifizierte Handelsabkommen bei der WTO, die heute noch in Kraft sind) verpflichtet, ihren Handel gegenseitig zu liberalisieren. Hinzu kommen noch zahlreiche einseitige Marktöffnungen, die Industrie- und Schwellenländer den Entwicklungsländern vertraglich zugestehen.
Freier Handel heißt aber nicht, dass der Handel ohne Regeln abläuft. Es heißt vielmehr: Die Handelspartner verständigen sich darauf, Barrieren im Handel von Waren und Dienstleistungen abzubauen, teilweise ganz abzuschaffen. Sie verpflichten sich außerdem, Waren und Dienstleistungen der Handelspartner nicht zu diskriminieren, sondern wie inländische Waren und Dienstleistungen zu behandeln. Teilweise öffnen sie auch ihren Markt stärker für Investitionen und liberalisieren ihre Vergabemärkte. Stellt eine Ware oder eine Dienstleistung eine Gefahr für die Gesundheit von Menschen, Tieren oder Pflanzen dar oder ist sie eine Gefahr für die nationale Sicherheit, können die Partner den Markt auch wieder verschließen.
Inhalte und Stoßrichtungen der Abkommen haben sich dabei über die Jahre verändert: Beispielsweise legten die vor allem in den späten 90er-Jahren ausgehandelten Freihandelsabkommen der EU mit Mexiko und Chile den Schwerpunkt auf den Abbau von Zöllen. In erster Linie sollten den Partnern unnötig hohe Ausgaben erspart bleiben. Neue Handelsabkommen der Europäischen Union dagegen, etwa mit Südkorea, Vietnam, Singapur, Kanada und Japan, decken auch die sogenannten WTO-Plus-Themen ab. Das sind Themen, die auf multilateraler Ebene bislang nicht oder wenig diskutiert wurden. Dazu gehören Wettbewerbsregeln, der Schutz geistigen Eigentums und die gegenseitige Öffnung der Märkte für öffentliche Beschaffung, Dienstleistungen und Investitionen.
Hinzu kommen Investitionsschutzabkommen. Sie beinhalten die Zusage, dass Investitionen von Firmen im Ausland vor politischen Risiken geschützt werden. Eine Fabrik, egal wo sie steht, kann so zum Beispiel nicht einfach von der örtlichen Regierung konfisziert werden. Meist wurden solche Abkommen in der Vergangenheit zwischen zwei Staaten getroffen – und zwar separat von Handelsabkommen. Mit dem Lissabon-Vertrag von 2009 hat die Europäische Union die Kompetenz für die Aushandlung solcher Investitionsschutzverträge von den Mitgliedsstaaten übernommen und diese zum Bestandteil von Handelsverträgen gemacht (zum Beispiel mit Kanada). Inzwischen hat der Europäische Gerichtshof geklärt, dass Investor-Staat-Schiedsverfahren nicht in die alleinige Kompetenz der EU fallen und damit entsprechende Verträge vor Inkrafttreten von allen Mitgliedstaaten ratifiziert werden müssen. Um die Freihandelsabkommen mit diesem langwierigen und ergebnisoffenen Verfahren nicht zu belasten, ist die EU dazu übergegangen, Investitionsschutzverträge, wo möglich, von den Freihandelsabkommen zu trennen.
Auch der Abbau regulatorischer Handelshemmnisse ist das Ziel von Handelsabkommen. Natürlich darf eine regulatorische Zusammenarbeit zwischen den Staaten weder dazu führen, dass Standards sinken, etwa beim Verbraucherschutz, noch dürfen politische Handlungsspielräume der Europäischen Union und ihrer Mitgliedsstaaten eingeschränkt werden. Dafür muss sich Deutschland einsetzen.