Geopolitische Krisen meistern: Neue Initiativen für Handel und Investitionen starten
Empfehlungen für die europäische Legislaturperiode 2024-2029
Die Welt ist in eine neue Phase der Globalisierung getreten. Sie ist gekennzeichnet von zunehmenden geopolitischen Verwerfungen und - als Folge - einer noch stärkere Lokalisierung der Produktion in allen wichtigen Märkten. Nicht nur europäische Firmen lokalisieren ihre Produktion, dies ist ein weltweiter Trend. Beschleunigt wurde diese Entwicklung durch den systemischen Wettbewerb mit China und den Sanktionspaketen gegen Russland wegen des Angriffs auf die Ukraine. De-Risking ist das Gebot der Stunde, also das Diversifizieren von Wirtschaftsbeziehungen und Wertschöpfungsketten. Wie gelingt uns das in Europa?
Auf was es jetzt ankommt
Neue Balance zwischen Nachhaltigkeitsanforderungen und strategischen Wirtschaftsinteressen bei FTA-Verhandlungen finden
Um die Diversifizierung von Lieferketten zu unterstützen, sollte die EU mehr Impulse für dynamische Wirtschaftsbeziehungen mit Entwicklungs- und Schwellenländern auf Augenhöhe setzen. Vorrangig sollte die EU im Rahmen von FTA-Verhandlungen pragmatische und innovative Lösungen für das Erreichen ihrer hohen Ziele in Bereichen wie Umwelt, Menschenrechte und Arbeitsstandards finden. So bleibt die EU mit Partnern wie den Mercosur-Staaten, Indien oder Indonesien abschlussfähig.
Neue Initiativen für Handel und Investitionen starten
Nachdem der regelbasierte Handel im Rahmen der WTO ins Stocken geraten ist, sollte die EU eine Führungsrolle zur Stärkung des multilateralen Handelssystems übernehmen. Der von der Gruppe der Business7 (B7) unter japanischer Präsidentschaft vorgeschlagene „Club für freien und fairen Handel und Investitionen“, in dessen Mittelpunkt die G7-Mitglieder und die EU stehen, könnte als Blaupause dienen, um einen hochrangigen Rahmen für Handel und Investitionen zu schaffen. Der „Club“ sollte allen Ländern und Regionen offenstehen, die sich verpflichten, innerhalb eines bestimmten Zeitraums bestimmte Kriterien zu erfüllen. Im Gegenzug wird jedes Clubmitglied ermutigt, den anderen Mitgliedern so weit wie möglich Inländerbehandlung zu gewähren. Das strategische Ziel eines solchen Clubs sollte sein, ein attraktives handels- und investitionspolitisches Angebot besonders an all jene Staaten zu machen, die außerhalb der G7-Gruppe wichtige Partner werden könnten. Diversifizierung und regelbasierter Handel benötigen ein kraftvolles Signal für gemeinsames, nachhaltiges und globales Wachstum. Daher ist es entscheidend, dass sich Europa mit Nachdruck um Schwellen- und Entwicklungsstaaten bemüht.
Projekte im Rahmen von Global Gateway schneller umsetzen
Der angekündigte Business Advisory Council sollte sich für eine bessere finanzielle Ausstattung von Global Gateway einsetzen. Gerade im Hinblick auf Migration sollten Nordafrika und die Levante-Region viel mehr durch grüne Transformations- und Digitalisierungsprojekte wirtschaftlich gestärkt und miteinander verknüpft werden. Zudem sollten Lateinamerika und die Karibik stärker in die Vergabe von Infrastrukturprojekten einbezogen werden.
EU-US TTC gegenüber politischen Veränderungen absichern
Die EU sollte sich dafür einsetzen, dass der TTC mehr konkrete Ergebnisse erzielt, beispielsweise die Entwicklung gemeinsamer Standards für neue Technologien oder auch den Abschluss weiterer Abkommen zur gegenseitigen Anerkennung von Konformitätsbewertungen. Dies ist nicht nur wichtig, um das Interesse aller beteiligten Akteure zu wahren, sondern primär, um den TTC so weit wie möglich gegenüber politischen Veränderungen auf beiden Seiten des Atlantiks abzusichern.
Europäische Einheit zum Umgang mit China vorantreiben
Die China-Strategie der Bundesregierung hat den europäischen Konsens zur Rolle als Kooperationspartner, Wettbewerber und Systemrivale bekräftigt und bestätigt, dass für Deutschland der gemeinsame europäische Umgang mit China entscheidend ist. Die Europäische Kommission muss sich verstärkt für eine einheitliche europäische Chinapolitik und die engere Abstimmung der Mitgliedstaaten zu China-relevanten Bereichen einsetzen, um die EU zukunfts- und wettbewerbsfähig aufzustellen.
Der gestiegenen geostrategischen Bedeutung Afrikas gerecht werden
Eine enge Zusammenarbeit zwischen Europa und Afrika ist für die deutsche und europäische Industrie von strategischer Bedeutung. Es gilt, auf den globalen Märkten stark zu sein und einseitigen Abhängigkeiten durch eine breite Diversifizierung entgegenzuwirken. Die EU sollte die African Continental Free Trade Area stärken. Europa sollte zudem sehr zügig nachhaltige Rohstoffallianzen mit afrikanischen Partnern schmieden. Ferner gilt es, Afrikas große Potenziale bei der Produktion von grünem Wasserstoff auszuschöpfen – zum beiderseitigen Nutzen. Europäische Unternehmen sind als Technologieführer in etlichen Bereichen der Wasserstoff-Wertschöpfungskette gut positioniert. Afrikanische Länder können dadurch für ihre eigene Industrialisierung profitieren. Schließlich sollten Europa und Afrika Zukunftstrends in der Industrie wie die Raumfahrt für eine Entwicklungspolitik nutzen, die mehr auf Innovation und Marktwirtschaft setzt.
Führungsrolle beim Wiederaufbau der Ukraine übernehmen
Die Stabilisierung der Ukraine ist entscheidend für die Sicherheit und Glaubwürdigkeit der EU. Beim Wiederaufbau des Landes muss die EU eine klare Führungsrolle übernehmen, auch mit Blick auf mögliche politische Europas Herausforderungen meistern – mit einer wettbewerbsfähigen Industrie 10 Veränderungen in den USA. Gestärkt werden müssen die Rechtssicherheit im Land genauso wie Instrumente zur Einbindung und Aktivierung privaten Kapitals. Die Einrichtung eines Business Advisory Council (BAC) unter Beteiligung von europäischen Wirtschaftsverbänden und Unternehmen, über den ein strukturierter Austausch von Politik und Wirtschaft stattfinden könnte, ist entscheidend für einen erfolgreichen Wiederaufbauprozess.
Weder business as usual noch alle Brücken nach Russland abreißen
An eine Normalisierung der Beziehungen zu Russland ist derzeit nicht zu denken. In Bereichen, in denen Abhängigkeiten von Russland fortbestehen, sollte die EU entschieden in alternative Bezugsquellen investieren. Gleichzeitig sollte die EU den Dialog mit der europäisch-orientierten, russischen Opposition aktiver führen und stärker kommunizieren, dass ein demokratisches Russland wieder Teil der europäischen Familie sein kann. Bestehende Kontakte insbesondere in Wirtschaftssektoren, bei denen die EU weiterhin an Kooperationen in Russland interessiert ist (z.B. Klimaschutz, Landwirtschaft), können unter Einhaltung aller Sanktionen erhalten bleiben. Eine Diskriminierung von europäischen Unternehmen, die unter Einhaltung aller bestehenden Sanktionen noch in Russland tätig sind, darf es nicht geben. Es liegt nicht im Interesse der EU, dass alle Positionen in der russischen Wirtschaft durch Investoren aus Ländern besetzt werden, welche die Werte der EU nicht teilen. Unternehmen, die sich hingegen zum Rückzug aus Russland entscheiden, sollten ohne Einschränkung Zugang zu Beratungsmöglichkeiten erhalten.
Effizientere EU-Strukturen für Sanktionen schaffen
Die EU-Sanktionspakete gegen Russland haben gezeigt, dass die EU eine effizientere Struktur ähnlich dem US-amerikanischen Office of Foreign Assets Control braucht, um die einheitliche Anwendung des EU-Sanktionsrechts und die schnelle Klärung offener Fragen zu gewährleisten.
EU-Nachbarschaftspolitik aktiver vorantreiben
Eine erfolgreiche EU-Nachbarschaftspolitik ist ein Schlüsselfaktor für Frieden und wirtschaftliche Prosperität in Europa und geopolitische Stabilität. Deshalb ist es von fundamentaler Bedeutung, dass die EU in die Beziehungen beispielsweise zu ihren östlichen Nachbarn investiert (z.B. Investitionen im Rahmen von Global Gateway) sowie die Anreize zur Übernahme von EU-Standards und der Regeln des EU-Binnenmarkts verstärkt.
Geschwindigkeit bei der Produktion von Verteidigungsgütern steigern
Von der Planung und Beschaffung bis hin zur Produktion – die meisten Prozesse in Europa laufen weiterhin im Friedensmodus. Für alle dringend benötigten Verteidigungsgüter müssen die administrativen Prozesse auf allen Ebenen sowohl für die Vergabe als auch für die Ausführung von Aufträgen rigoros beschleunigt werden – bis hin zu Anträgen für Planung, Bau und Betrieb von Anlagen.
Zugang zu Finanzmitteln für die Verteidigungsindustrie sicherstellen
Der Zugang zu Finanzmitteln ist für den Produktionshochlauf beziehungsweise wirtschaftliche Tätigkeit allgemein unverzichtbar – insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) entlang der Lieferkette. Die Mitgliedstaaten sollten den Zugang zu Finanzmitteln für die Verteidigungsindustrie über ihre nationalen Förderbanken sicherstellen und der Europäischen Investitionsbank (EIB) die Finanzierung der wichtigsten Verteidigungsaktivitäten ermöglichen. Zudem sollte die EU eine deutliche politische Botschaft an die Finanzmarktakteure senden, dass Sicherheit – und somit auch die Verteidigungsfähigkeit – Voraussetzung für Nachhaltigkeit und damit ESG-konform ist.
Gemeinsame Beschaffung von Verteidigungsgütern im Austausch mit der Industrie anschieben
Angesichts der Unwägbarkeiten des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine und der Ausrüstungsdefizite der Mitgliedstaaten sollte zügig geprüft und entschieden werden, ob ein ähnlich gelagerter Ansatz wie bei der gemeinsamen Beschaffung von Munition für die Ukraine durch die EU auch für andere Verteidigungsgüter gewählt werden könnte – und wenn ja, für welche. Eine frühzeitige Ausarbeitung, Kommunikation und der Abgleich von Beschaffungsplänen sowie ein darauf basierender Austausch mit Unternehmen zu Bedarfsvorstellungen (vor Beginn der Ausschreibungsprozesse) sind unerlässlich, um die Produktionsvorlaufzeiten zu verkürzen.
Bedarf an Fähigkeiten besser in Beschaffungsprojekte umsetzen
Die Koordinierung der EU-Instrumente, der Fähigkeitsplanungsprozesse von EU und NATO sowie der Planungsprozesse der Mitgliedstaaten muss verbessert werden. Dies betrifft vornehmlich die Vorschläge hinsichtlich gemeinsamer Verteidigungsplanung, -programme und -beschaffung.
EU-Investitionen in Verteidigung steigern
Um zielgerichtete Investitionen in militärische und technologische Fähigkeiten zu gewährleisten, sollte die EU die Haushaltslinie für Sicherheit und Verteidigung im Mehrjährigen EU-Finanzrahmen (MFR) verstetigen – angefangen mit der laufenden MFR-Halbzeitüberprüfung. Die EU sollte auf die Förderung gemeinsamer Beschaffungen setzen, um die derzeitige Nachfrage erfolgreich zu bewältigen und die Harmonisierung der Nachfrage in Europa zu fördern.
Europas NewSpace-Ambitionen heben
Die EU sollte primär als Ankerkunde auftreten und direkt Aufträge an die Raumfahrtunternehmen vergeben. Dazu gehört die stärkere Einbindung der Industrie entlang der gesamten Wertschöpfungskette – von Systemhäusern, über Mid-Caps und KMU bis hin zu Start-ups. Insbesondere der Zugang von NewSpace-Unternehmen, vor allem KMU und Start-ups, zu EU-Programmen muss erleichtert werden, um Innovationen zu befördern und mehr Wettbewerb zu ermöglichen.