Deutschlands vernetzte Kliniken retten Leben: ein Gespräch mit

Prof. Dr. med. Axel Ekkernkamp

Schlaganfall, Herzinfarkt, Unfall –
wenn es wirklich ernst wird, entscheiden oft Information zur richtigen Zeit in den richtigen Händen über ein Patientenschicksal.
In Deutschland greifen drei Systeme des Gesundheitswesens ineinander: die Versorgung durch niedergelassene Ärzte, das Rettungswesen und die Notfallaufnahmen im Krankenhaus. Doch gerade zwischen diesen dreien stockt der Informationsfluss. Digitale Kommunikation kann hier Abhilfe schaffen. Gegen zentral gespeicherte Patientendaten aber wehren sich noch immer viele. Dabei, so Prof. Dr. med. Axel Ekkernkamp, ärztlicher Direktor und Geschäftsführer des berufsgenossenschaftlichen Unfallkrankenhauses Berlin-Marzahn (UKB), können digitale Krankenakten Leben retten.
BDI: „Was in anderen Ländern noch ferne Zukunftsmusik ist, ist in Dänemark bereits Realität: die Vernetzung des Gesundheitswesens durch Informationstechnologien.“ schreibt Copenhagen Capacity. Sind wir hierzulande wirklich so – nennen wir es einmal „rückständig“?
Prof. Dr. med. Ekkernkamp: Nein, unter allen 190 Nationen sind wir ziemlich weit vorne. Aber mit Verlaub, die Superkrankenhäuser werden gerade noch gebaut.
Nennen wir es nicht rückständig, aber zumindest finden wir uns „nur“ im guten Mittelfeld. Woran liegt das?
An ganz unterschiedlichen Dingen. Wir diskutieren in Deutschland viel über Patientensicherheit. Dann diskutieren wir über Datenschutz und dann haben wir lange nicht gewusst, wie uns IT, Big Data und E-Health helfen können. Jetzt wissen wir, dass es uns helfen kann. Es gibt führende Personen aus der Politik, die uns schon heute sagen, Datenschutz ist nur etwas für gesunde Menschen. Derjenige, der krank ist, der ist froh, dass ihm und dem System alle Daten zur Verfügung stehen. Aber so aus der Ferne betrachtet ist IT für manchen ein Teufelszeug.
Diese sogenannten Superkrankenhäuser zeichnen sich vor allem durch ihre Fortschritte in der Digitalisierung aus. Auch am UKB ist Digitalisierung ein großes Thema: Telemedizin auf Hochseeschiffen, kooperierende Krankenhäuser im Umland, etc. In Dänemark schickt man bereits aus dem Rettungswagen die Vitaldaten des Patienten direkt an das behandelnde Krankenhaus. Ist das auch hier am UKB vorgesehen?
Wir haben unseren Schwerpunkt zunächst darauf gelegt, uns via Telemedizin um die Seefahrt zu kümmern. Aber wenn wir in der Lage sind, Plattformen in der Nordsee oder Tanker vor Venezuela IT-mäßig zu unterstützen und vor allem medizinisch zu begleiten, dann schaffen wir das natürlich mit den Notarzteinsatzfahrzeugen hier in Berlin auch.
Verleitet die Digitalisierung nicht auch dazu, Krankenhäuser zu schließen?
Erstens ist die Frage, ob die Versorgungsqualität verbessert wird, wenn an jeder Ecke ein Krankenhaus steht, das unter einem Aspekt leidet, nämlich dem Mangel an kompetenten Fachkräften im nichtärztlichen Bereich, ganz besonders in der Berufsgruppe Gesundheits- und Krankenpflege. Die Versorgungsqualität wird doch viel mehr gesteigert, wenn der Rettungswaagen mal 20 Kilometer fährt, dafür aber rund um die Uhr auf eine gut ausgerüstete, personell ausgestattete Klinik zurück greifen kann. Und in diesen gut ausgerüsteten Kliniken gilt: Je mehr Informationen Behandler haben, desto besser ist es für den Notfallpatienten. Im Notfall – wenn ich der Patient wäre – wäre ich froh, wenn die Einheit, zu der ich komme, alles weiß. Und bin ich mir sicher, dass wir den Menschen mit mehr Digitalisierung einfach mehr helfen können.

Was sind Superkrankenhäuser?

Durch Digitalisierung, Einsatz von E-Health und Telemedizin streben Superkrankenhäuser eine effektivere und bessere Patientenversorgung an. Weniger Fachärzte müssen so in einem Krankenhaus zur Verfügung stehen, die Behandlung der unterschiedlichsten Erkrankungen kann aber dennoch unter einem Dach durchgeführt werden. Möglich macht dies die Konsultation von Fachkollegen an anderen Kliniken per Videochat. In dänischen Pilotprojekten werden Vitaldaten bereits aus dem Krankenwagen oder vom niedergelassenen Arzt digital an den Behandlungsort übertragen. Alle Berufsgruppen – vom Rettungssanitäter über den Arzt bis hin zum Physiotherapeuten – greifen dann auf eine Krankenakte zu, die zentral gespeichert wird. Das sorgt für schnellen, unkomplizierten Informationsfluss zwischen allen Helfern und sichert schließlich die optimale Versorgung der Patienten.
Welche Ängste sind Ihrer Meinung nach mit der Digitalisierung in Krankenhäusern verbunden?
Fünf Millionen von etwa 46 Millionen sozialversicherter Personen arbeiten mittelbar oder unmittelbar im Gesundheitswesen oder in der Gesundheitswirtschaft. Damit sind wir natürlich Teil der Gesellschaft und die gesamte Gesellschaft fürchtet sich vor dem gläsernen Menschen. Diese Ängste müssen wir ernst nehmen, dürfen uns dem Fortschritt aber nicht verschließen. Stellen Sie sich das mal vor: Heute schellt ein Patient nach der Krankenschwester. Die macht einen weiten Anmarsch, klopft, öffnet die Tür und fragt: Was kann ich denn für Sie tun? Dann sagt er: Ich habe einen wahnsinnigen Durst, ich hätte gerne ein Glas Mineralwasser mit Kohlensäure. Dann geht diese Krankenschwester wieder raus, geht einen langen Gang zurück, geht den gleichen Weg wieder, holt das Wasser, gibt ihm das und dann hat er sein Wasser. Übertragen Sie das mal in unseren Alltag. Wenn wir das heute mit einem Pizzaboten machen würden und würden den zunächst zu uns bestellen, um ihm dann zu sagen, was wir gerne hätten, da würde jeder mit dem Kopf schütteln. Das geht schon längst über moderne Medien. Insofern müssen wir uns dahingehend öffnen, dass IT in das Gesundheitswesen gehört, so wie IT eben in unsere heutige Gesellschaft gehört.
Also denken Sie, dass die Ängste unbegründet sind?
Nein, ich denke, dass es wichtig ist, dass man Datenschutz und Patientenschutz auch weiterhin beachtet. Aber wir werden völlig den Anschluss verlieren, wenn wir nicht eine Balance finden zwischen Datenaustausch und Datenschutz.
Könnte denn die Gesetzgebung den Einsatz von Digitalisierung in Deutschland vorantreiben?
Das müssten schon die Kliniken und die Krankenhausträger oder auch diejenigen, die die Kosten bezahlen – also Krankenkassen – selbst machen. Politik allein kann das nicht. Die Politik kann uns aber unterstützen und ganz aktuell unterstützt sie uns auch.
Welche Rolle spielt dabei das E-Health-Gesetz?
Das E-Health-Gesetz spielt im Augenblick eine positive symbolische Rolle. Hier hat der Bundesminister sehr gute Arbeit geleistet. Ich gehe fest davon aus, dass das Gesetz am 1. Januar 2016 in Kraft treten wird und damit haben wir dann doch eine gute Basis in Form einer rechtlichen Möglichkeit, sich über Sektorengrenzen IT-unterstützt verständigen kann.

Das neue E-Health-Gesetz

zur Dossier
Im Juli 2015 hat sich der Deutsche Bundestag mit dem Entwurf eines „Gesetzes für sichere digitale Kommunikation und Anwendungen im Gesundheitswesen“, dem E-Health-Gesetz befasst. Es umfasst den Einsatz der elektronischen Gesundheitskarte, auf der Notfalldaten des Patienten gespeichert werden. Auch der Medikationsplan kann darauf künftig hinterlegt sein. So können gefährliche Wechselwirkungen von Arzneimitteln vermieden werden. Angestrebt wird außerdem ein sogenanntes Stammdatenmanagement, das letztendlich in die elektronische Patientenakte münden kann. Darin kann der Patient dann sogar selber beispielsweise einen elektronischen Impfausweis hinterlegen. Dazu gibt es klare Zugriffsrechte, Zugriffe werden protokolliert und Daten verschlüsselt. Der Patient kann bestimmen, wer welche Daten lesen darf und bei Bedarf auch Daten löschen lassen. Für den Einsatz der Vernetzung und der elektronischen Anwendungen sieht der Gesetzgeber klare Fristen vor, die bei Nichteinhaltung zu Sanktionen für die Ärzte führen. Das E-Health-Gesetz soll zum Jahresbeginn 2016 in Kraft treten.
Aber wie kann man die Finanzen für die Digitalisierung der Gesundheitswirtschaft überhaupt zur Verfügung stellen?
Diese Superkrankenhäuser in Dänemark sind ja dem geschuldet, dass der Staat zuständig ist für das Betreiben von Krankenhäusern. In Deutschland haben wir eine duale Finanzierung, das heißt: eine Aufgabenverteilung. Die Länder sind zuständig für die investiven Mittel und die Krankenkassen für die laufenden Kosten. Es wurde bereits viel in Großgeräte investiert, das ist richtig und wichtig. Jetzt müssen wir die IT mit in den Blick nehmen, damit wir den Anschluss an die übrigen europäischen Länder nicht verlieren.
Die IT-Ausstattung ist natürlich der erste Schritt, aber worauf sollte das Gesundheitssystem den Fokus verschieben, wenn wir an den Umgang mit Informationen denken?
Unser Hauptproblem in Deutschland besteht ja darin, dass es zwischen dem niedergelassenen Bereich und den Kliniken eine riesige Zäsur gibt. Diese Trennung haben andere Länder nicht und setzen auf eine Verzahnung zwischen dem Hausarzt und dem Krankenhaus. Das geht, wenn man eine elektronische Patientenakte hat, mit der sich die Daten gegenseitig zugespielt werden und schließlich der eine behandelnde Arzt den anderen kennt. Nur so kann Vernetzung wirklich ihren Weg in die Gesundheitsbranche finden.
Könnte denn die Gesetzgebung den Einsatz von Digitalisierung in Deutschland vorantreiben?
Das müssten schon die Kliniken und die Krankenhausträger oder auch diejenigen, die die Kosten bezahlen – also Krankenkassen – selbst machen. Politik allein kann das nicht. Die Politik kann uns aber unterstützen und ganz aktuell unterstützt sie uns auch.
Vielen Dank für das Gespräch.