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Auf dem Weg zu einem europäischen Lieferkettengesetz
Ein klares und starkes politisches Signal für ein europäisches Lieferkettengesetz kommt auch vom Europäischen Parlament. Im März 2021 haben die EU-Abgeordneten mit großer Mehrheit einen Legislativvorschlag zur Rechenschafts- und Sorgfaltspflicht von Unternehmen angenommen und die EU-Kommission zu einem entsprechenden Richtlinienvorschlag aufgefordert. Insgesamt sieht der Vorschlag des Europäischen Parlaments sehr umfangreiche Sorgfaltspflichten vor und geht weit über die in der letzten Legislaturperiode in Deutschland beschlossenen Verpflichtungen hinaus. So sollen Unternehmen nach den Vorstellungen des Europaparlaments künftig nicht nur menschenrechtliche, sondern auch umweltrechtliche Risiken und negative Auswirkungen auf die gute Regierungsführung in der Wertschöpfungskette prüfen. Dabei wollen die Europaabgeordneten, dass auch kleine und mittlere Unternehmen (KMU) in Hochrisikosektoren und börsennotierte KMU, die im Binnenmarkt tätig sind, ihre Vorprodukte prüfen. Die mit einem hohen Risiko behafteten KMU soll die EU-Kommission definieren. Die Frage, ob Unternehmen die geplanten Anforderungen überhaupt kontrollieren und erfüllen können, hat sich manch Abgeordneter offenbar nicht gestellt. Zudem wurden durch diese Forderungen auch falsche Erwartungen an die Kommission geweckt, sehr weitgehende Regulierungsvorschläge vorzulegen.
Die Vorbereitungen für ein europäisches Lieferkettengesetz gestalten sich schwierig
Die EU-Kommission hat sich bei der Ausarbeitung ihres Richtlinienentwurfs auch mit dem vorgelegten Bericht des Parlaments auseinandergesetzt. Allerdings bleibt noch abzuwarten, was genau im Legislativtext der EU-Kommission stehen wird. Die Kommission musste die Veröffentlichung ihres Gesetzesvorschlags bereits mehrfach verschieben. Bereits zweimal lehnte der kommissionsinterne Ausschuss für Regulierungskontrolle die Folgenabschätzung der zuständigen Kommissionsdienststellen als handwerklich unzureichend ab.
EU-Justizkommissar Didier Reynders hat in unterschiedlichen Statements und mehrmals auch bei Anhörungen im Europaparlament sehr deutlich gemacht, sektorübergreifende Regeln vorzuschlagen, die Unternehmen zur Einhaltung von Menschenrechts- und Umweltstandards in ihren globalen Lieferketten verpflichten sollen. Einbeziehen will die EU-Kommission zudem alle Unternehmen, unabhängig von ihrer Größe, die ihre Produkte im Binnenmarkt verkaufen, wobei sie vermutlich nach Größe und Risikosektor unterschiedliche Pflichten verlangen wird. Klare Durchsetzungsmechanismen und ein Sanktionssystem müssten zudem sicherstellen, dass die Standards auch eingehalten werden. Das deutsche Lieferkettengesetz geht dem belgischen Kommissar nicht weit genug. Er dringt auf ein noch härteres Lieferkettengesetz.
Das Vorgehen gründet auf einer von der EU-Kommission in Auftrag gegebenen Studie zu Sorgfaltspflichten in der Lieferkette. Darin manifestiert sich eine klare Präferenz für eine Verschärfung der bestehenden Regeln. Die Ergebnisse hätten gezeigt, dass nur jedes dritte Unternehmen in der EU seine globalen Lieferketten hinsichtlich Menschenrechte und Umweltauswirkungen sorgfältig überprüft.Auch die EU-Mitgliedstaaten sind sich einig, dass ein europäischer Rechtsrahmen unternehmerische Sorgfaltspflichten entlang globaler Lieferketten regeln soll. Anfang Dezember 2020 haben sie hierzu einstimmig Schlussfolgerungen des Europäischen Rates verabschiedet.
Sorgfaltspflichten: einheitliche europäische Lösungen vor nationalen Sonderwegen
Unternehmen ziehen ebenfalls eine europäische Lösung statt nationaler Sonderwege vor. Gerade in Fragen des globalen Wirtschaftens muss man auf eine einheitliche Lösung setzen, um Wettbewerbsverzerrungen im europäischen Binnenmarkt zu verhindern und die bestehende Komplexität hybrider Regelungsmechanismen zu reduzieren. Aber auch mit Blick auf eine europäische Lösung gilt es, die Komplexitäten und Grenzen gesetzlicher Maßnahmen anzuerkennen. Selbst eine europäische Regulierung darf in ihrer Wirkung auf effektiven Menschenrechtsschutz vor Ort nicht überschätzt werden. Die Durchsetzung von Menschenrechten ist eine hoheitliche Aufgabe. Europäische Unternehmen können mit ihrem Engagement in Entwicklungs- und Schwellenländern einen wichtigen Beitrag hierzu leisten – sie können es aber nicht alleine schultern. Nationale Regierungen sind dafür verantwortlich, Menschenrechte in ihren Staaten ohne Wenn und Aber durchzusetzen. Daher sollte der Rahmengeber die Auswirkungen auf die Partnerländer und -regionen der EU sowie die Umsetzbarkeit in den Mittelpunkt stellen.
Unternehmen brauchen praktikable Rahmenbedingungen
Beim EU-Lieferkettengesetz geht es darum, praxistaugliche und mittelstandsfreundliche Rahmenbedingungen für international tätige Unternehmen zu schaffen. Ein gesetzlicher Kriterienkatalog muss klar definieren, was Unternehmen im Rahmen der Sorgfaltspflichten konkret zu tun haben. Die Kommission sollte den Anwendungsbereich rechtssicher ausgestalten und auf direkte Zulieferer begrenzen („tier 1“). Mittelständische Unternehmen sollten vom Anwendungsbereich ausgenommen werden. Hier könnte das französische „Loi de Vigilance“ als Vorbild dienen, das Ausnahmen für alle Unternehmen unter einer Größe von 5.000 Mitarbeitern vorsieht. Ferner sollte die Kommission gleiche Rahmenbedingungen für alle Marktteilnehmer in Europa vorschlagen – auch für Unternehmen mit Unternehmenssitz außerhalb der EU. Schließlich muss eine zivilrechtliche Lieferkettenhaftung oder unangemessene Sanktionen ausgeschlossen und dringend umfassende Unterstützung durch öffentliche Stellen bereitgestellt werden. Sonst droht der Rückzug aus Ländern, in denen europäische Unternehmen durch ihr Engagement heute schon zu höheren Standards, besserer Bildung und damit zu Wachstum und Wohlstand lokal beitragen.