„Wir leben in einer Welt gefährdeter Demokratien und erodierender weltwirtschaftlicher Regelwerke. Wir müssen uns darum kümmern, wer unserem Wohlstand der Zukunft mit welchen möglicherweise unlauteren Mitteln zu Leibe rücken will. Das Erstarken einer Renationalisierungspolitik in Teilen Europas, in Asien und in Amerika betrachten wir mit großer Sorge. Die regelbasierte globale Marktwirtschaft wird in ihrer Rolle als dominierendes Prinzip herausgefordert.
Ein „Level Playing Field“, also einheitliche Regeln für Außenhandel und ausländische Direktinvestitionen, für Kapitalverkehr, Migration, den Fluss von Daten und Ideen, wäre dann bei weitem weniger offen und frei. Unsere Antwort kann nicht sein, die fehlgeleitete Renationalisierungspolitik anderer Ländern auch nur in Ansätzen zu kopieren. Selbst wenn wir diese Politik auf die europäische Ebene hieven würden, bliebe sie falsch: Sie würde den Trend zu Protektionismus und Abschottung beschleunigen. Aus dem industriellen und technologischen Potenzial Deutschlands ergibt sich, dass wir Anwalt einer europäischen, regelbasierten, offenen, aber wachsamen Politik sein müssen.
In dem Entwurf des Bundeswirtschaftsministeriums zu einer Nationalen Industriestrategie 2030 werden die Fehlentwicklungen durch industrie- und handelspolitische Verzerrungen des Außenhandels und der weltweiten Investitionstätigkeit durch Protektionismus in aller Klarheit angesprochen. Diese Diagnose teilen wir weitgehend. Die Diskussion der deutschen und europäischen wirtschaftspolitischen Antwort auf diese Herausforderungen ist zwingend erforderlich. Sie erstreckt sich von der Stärkung der Handels- und Wettbewerbspolitik bis hin zu neuen Instrumenten in der Innovationspolitik.
Der hohe Grad von Vernetzung, die fortschreitende Digitalisierung und enorm beschleunigte Innovationsprozesse erfordern mehr als je zuvor systemische Ansätze. Diese notwendigen Schritte ersetzen jedoch nicht die dringend notwendigen wirtschaftspolitischen Maßnahmen zur Schaffung wettbewerbsfähiger Rahmenbedingungen, sondern ergänzen diese.
Deswegen hat der BDI mit seinen Mitgliedern in kürzester Zeit ein umfangreiches Pflichtenheft abgestimmt. Es setzt direkt an den Verzerrungen des marktwirtschaftlichen Wettbewerbs durch ausländische Staaten und Staatsunternehmen und den möglichen Gegenmaßnahmen an. Zugleich beschreiben wir in unserem Papier auch die Schwächen des Industriestandorts Deutschland. Damit meine ich zum Beispiel: zu hohe Energiepreise, überzogene Rechtsetzung und Bürokratie, schleppenden Ausbau und Erneuerung der Infrastruktur, eine schädliche Steuerpolitik und fehlende Fachkräfte.
Ebenso sehen wir die explizite politische Förderung von europäischen Champions kritisch. Eine wirkungsvolle Industriestrategie muss die Wettbewerbsfähigkeit der gesamten Industrie im Fokus haben und darf den gerade für Deutschlands Wirtschaftskraft so wichtigen Bereich des Mittelstands nicht aus dem Auge verlieren.
Lassen Sie mich vier Punkte herausstellen, die uns besonders wichtig sind:
- Im Zusammenhang mit der Untersagung des Zusammenschlusses in der Bahnindustrie wurde viel darüber diskutiert, ob unsere Fusionskontrollen noch zeitgemäß sind. Aus unserer Sicht könnte die Europäische Kommission, je nach Fallsituation, bei der Frage der Marktabgrenzung den globalen Wettbewerb durch außereuropäische Unternehmen noch stärker als bislang in den Fokus nehmen. Zudem könnte sie den zu erwartenden potenziellen Wettbewerb auf einer längeren Zeitschiene prüfen und Effizienzerwägungen stärker berücksichtigen.
- Immer mehr Staaten schränken ihre Offenheit für Auslandsinvestitionen ein. Eine zukunftsgerichtete Industriestrategie darf diesen Trends keinen Vorschub leisten. Sie darf auch keinen Zweifel daran zulassen, dass ausländische Investitionen in Deutschland willkommen sind. Eine Ausweitung der „nationalen Sicherheit“ auf den Schutz von Schlüsseltechnologien lehnen wir ab. Die staatliche Investitionskontrolle darf kein Mittel der Industriepolitik werden.
- Ein mögliches Eingreifen des Staates auf dem Wege einer Beteiligungsfazilität erscheint derzeit aus Sicht der deutschen Industrie angesichts existierender marktkonformer Instrumente nicht notwendig. Jede vertikale staatliche Intervention muss immer unter dem Aspekt der Verzerrung marktlicher Allokationsmechanismen bewertet werden.
- Ich bin davon überzeugt, dass wir in vielen Technologien in Deutschland weiterhin industriell an der Spitze mithalten können. Das gelingt aber nur, wenn wir das kreative Potenzial unserer jungen Unternehmen in ganz Europa auch hier halten können. Dies setzt eine gemeinsame Anstrengung in der Expansionsfinanzierung mit Risikokapital voraus. Der Bund hat sehr viel für die Gründungsfinanzierung getan. Dabei dürfen wir nicht stehen bleiben.
Eine breite öffentliche, parlamentarische und europäisch eingebettete Diskussion über die notwendigen Entscheidungen ist zwingend, um Deutschlands Wohlstand auch weitere Jahrzehnte im Ordnungsrahmen der sozialen Marktwirtschaft zu erhöhen. Die in konjunkturell guten Zeiten entstandene industriepolitische Gelassenheit sollte nun einem ernsten und selbstbewussten Anpacken der wirtschaftspolitischen Aufgaben weichen.