„Es gab diese Monate, da wussten wir genau: Bald sind die Konten leer. Jetzt müssen wir die Kurve bekommen und es in die schwarzen Zahlen schaffen, sonst ist das Geld der Investoren, die an uns und unsere Geschäftsidee glauben, aufgebraucht. Jeden Monat haben wir die Chancen und Risiken unserer Lage genau abgewogen und dabei immer auch Pläne für den Worst Case geschmiedet: Was, wenn ein Großkunde abspringt? Was, wenn sich diesen Monat keine neuen Kunden für unser Produkt entscheiden? Was, wenn einer unserer Entwickler kündigt und wir den Zeitplan nicht halten können? Wann wäre der Punkt erreicht, an dem wir die Reißleine ziehen müssten? Sich diese Risiken im Detail immer wieder bewusst zu machen, immer wieder Worst-Case-Szenarien durchzuspielen und ihre Folgen durchzurechnen, das war schon hart. Sich auszumalen, wie wir große Erfolge feiern würden, macht definitiv mehr Spaß.
Aber ich finde: Das gehört als Unternehmerin dazu, dem muss man sich stellen. Man kann Risiken nicht einfach ausblenden und auf das Beste hoffen. Mein Mitgründer Robert Freudenreich und ich haben uns bewusst gegen eine Konzernkarriere und für die Gründung unseres eigenen Unternehmens entschieden. Wir wussten natürlich, dass wir ein Risiko eingehen. Die Zahlen kennt jeder Gründer: Drei Viertel aller Startups scheitern. Zugegeben: Am Anfang erschien uns unsere Entscheidung trotzdem nicht besonders riskant zu sein.
Damals, das war im Jahr 2010, haben zunächst nur wenige Menschen das Potenzial in unserer Produktidee gesehen, eine Verschlüsselungs-Software zu entwickeln, mit der Cloud-Dienste sicher genutzt werden können. Zu dem Zeitpunkt mussten wir oft noch erklären, was Cloud-Dienste überhaupt sind. Es gab noch kaum ein Bewusstsein für Cyber-Risiken. Aber was hatten wir schon zu verlieren? Wir hatten ein Existenzgründerstipendium, das uns Zeit und die nötige finanzielle Sicherheit gab, um unsere Idee weiter zu entwickeln. Wäre nichts aus unserer Geschäftsidee geworden, hätten wir jederzeit anderswo eine gute Karriere machen können. Dann ging allerdings alles sehr schnell: Die ersten Datenskandale sorgten für Aufsehen, in den Medien war IT-Sicherheit plötzlich ein Riesen-Thema.
Cloud-Dienste wurden immer beliebter bei privaten Nutzern und Unternehmen, aber gleichzeitig waren die Bedenken groß, was die Sicherheit dieser Dienste anging. Wir waren zum richtigen Zeitpunkt mit dem richtigen Produkt am richtigen Ort. Denn wir konnten zeigen: Schaut, gegen diese Risiken könnt ihr euch absichern. Wir entschieden uns, die Chance zu nutzen und Investoren zu suchen, um mit unserem Unternehmen zu wachsen. Mit der Unterstützung von drei Business Angels stellten wir ein größeres Entwickler-Team an, investierten in Marketing und Vertrieb. Das hat alles verändert.
Natürlich weiß ich, dass wir niemals alle möglichen zukünftigen Risiken vorhersehen und einkalkulieren können – es kann immer etwas geschehen, das komplett unerwartet ist und alle Pläne über den Haufen wirft. Ich kann nicht alle Unsicherheiten vermeiden. Das wäre so, als würde man sagen: Oh, wenn ich im Internet Daten teile, ist das gefährlich – da lasse ich es lieber ganz bleiben und nutze das Internet gar nicht. Sich einfach nicht um mögliche Risiken zu kümmern und sie zu ignorieren, ist aber genauso wenig eine Lösung.
Wir halten uns als Unternehmer an das, was wir auch unseren Kunden im Umgang mit Cyberrisiken empfehlen: Wir überlegen uns genau, was uns wichtig ist. Was wir schützen wollen und müssen. Wie viel Sicherheit wir in welchen Unternehmensbereichen brauchen. Dann fragen wir uns, welche aktuellen und zukünftigen Risiken für diese Schutzbereiche relevant sind und wie wahrscheinlich es ist, dass sie eintreffen.
Was ist der Worst Case? Und was kann ich schon heute tun, um ihn zu vermeiden? Es ist oft unbequem, sich diese Fragen immer wieder ehrlich zu stellen. Aber sich davor zu drücken und Risiken totzuschweigen ist keine Option. Wir finden, sich mit Risiken und Unsicherheiten aktiv auseinanderzusetzen, stärkt uns und unser Unternehmen – denn es hilft uns, uns bewusst zu machen, was uns wichtig ist und was wir erreichen wollen.“