„Die tiefgehende Integration der deutschen Industrie in globale Wertschöpfungsketten ist Chance und Herausforderung zugleich. Wir profitieren einerseits von einer wachsenden Weltwirtschaft, neuen Technologien und der dynamischen Entwicklung vieler Länder. Andererseits macht es uns abhängig und verwundbar, weil komplexe und globale Wertschöpfungsketten leicht unterbrochen werden können. Deutsche Unternehmen sind deshalb auf ein sicheres und stabiles Umfeld angewiesen – sowohl national wie international.
Die bestehende Ordnung unterliegt in ihrer Sicherheit und Stabilität einem Wandel, der sie immer mehr in Frage stellt. Inner- und zwischenstaatliche Konflikte führen in vielen Regionen zu einer politischen Destabilisierung. Der wirtschaftliche Aufstieg von Staaten wie China oder Indien verschiebt die globalen Marktgewichte und politischen Machtpole. Sie sind verbunden mit dem legitimen Anspruch dieser Länder, die globale Ordnung auf Grundlage dezidiert eigener Wertevorstellungen mitzugestalten.
Die sicherheitspolitische Dimension des Klimawandels beginnen wir erst langsam zu begreifen. Er verknappt Ressourcen und befördert Migrationsströme.
Hinzu kommt der Umstand, dass in einer zunehmend digital vernetzten Welt Unternehmen, kritische Infrastrukturen, Behörden und Forschungseinrichtungen deutlich verwundbarer werden für Ausspäh- und Sabotageangriffe aus dem Cyberraum. Die bisher dominierende Ordnungsmacht USA realisiert immer mehr die Grenzen ihrer politischen und militärischen Kraft – und ist nicht erst seit Trump auf dem Rückzug.
Der vor wenigen Tagen nun tatsächlich vollzogene Brexit schmerzt. Er schmerzt menschlich, wirtschaftlich, aber auch sicherheitspolitisch, weil die EU damit ihre stärkste Militärmacht verliert. 85 Prozent der Nato-Verteidigungsausgaben werden zukünftig von den Nicht-EU-Staaten USA, Vereinigtes Königreich, Kanada und Norwegen geleistet. Bei aller Enttäuschung und Frustration über den Brexit sollten wir jetzt nach vorn schauen. Als Mitglied des Weltsicherheitsrats der Vereinten Nationen, als Nuklearmacht und leidenschaftlicher Unterstützer des Liberalismus ist Großbritannien ein unverzichtbarer Partner.
Reichtum und Wohlstand werden künftig zunehmend auf den strategischen Ressourcen Wissen, Information und Kommunikation beruhen. Es geht um die Kontrolle und das Beeinflussen des ungehinderten Flusses von Wissen, Daten und Informationen. Die Sicherheitspolitik darf technologischen Entwicklungen der Digitalisierung nicht hinterherhinken: Die Bundesregierung sollte sie aktiv befördern. Nur wer technologisch auf Augenhöhe und souverän ist, wird in der Sicherheitspolitik noch Gestaltungs- und Mitsprachemöglichkeiten haben.
Deutschland ist das bevölkerungsreichste und wirtschaftlich stärkste Land in der EU. Wir haben aufgrund unserer zentralen geografischen Lage im Herzen Europas und aus historischen Gründen eine besondere Verantwortung für die Sicherheit Europas. Diese darf sich nicht auf Sonntagsreden nach dem Motto „Mehr Verantwortung übernehmen“ reduzieren, sondern muss sich in konkretes politisches Handeln widerspiegeln.
Unsere Partner in Europa und in der Nato erwarten zurecht, dass Deutschland seiner Verantwortung gerecht wird und sich nicht verlegen an die Seitenlinie zurückzieht, wenn internationale Verantwortung gefragt ist. Frieden, Freiheit und Wohlstand sind nicht selbstverständlich, es gibt sie nicht umsonst. Wir müssen mehr tun, wir können mehr tun, und wir sollten mehr tun.“