Mitte März 2020 begann der Corona-bedingte Lockdown von Gesellschaft und Wirtschaft in Deutschland. Wie steht Ihr Unternehmen fast genau ein halbes Jahr später da?
Es ist zum Glück nicht so schlimm gekommen, wie im Frühjahr befürchtet. Wir mussten unsere Kapazität aber deutlich nach unten anpassen. Denn natürlich spüren wir einen starken wirtschaftlichen Einbruch. Dem begegnen wir konsequent und bislang ohne direkte staatliche Hilfe. Uns hilft, dass wir in den vergangenen Jahren Risiken und Chancen gestreut haben. Mit Blick auf nachhaltigen Geschäftserfolg haben wir internationalisiert, neue Geschäftsfelder erschlossen und das Geld möglichst beieinander gehalten. Das hilft jetzt, um alle betrieblichen Möglichkeiten zu nutzen, damit wir Beschäftigung sichern.
Parallel arbeiten wir daran, die Widerstandsfähigkeit – manche sagen „Resilienz“ – des Unternehmens und unserer Belegschaft zu stärken. Unsere Schwerpunkte liegen auf Produktinnovation, gezielter Digitalisierung und konsequenter Fort- und Weiterbildung. In größerer Perspektive über Branchen und Regionen hinweg gesehen ist das Lagebild so bunt, wie der Mittelstand eben ist – das zeigt die BDI-Herbstumfrage zu Corona-Brennpunkten im industriellen Mittelstand.
Wie bewerten Sie die bisherigen Unterstützungsmaßnahmen des Staates?
Mir erscheint gut und sinnvoll, dass die Politik auf allen Ebenen kurzfristig einen gestaffelten und gut bestückten Instrumentenkasten zusammengestellt hat. Es muss darum gehen, einen tragfähigen Aufschwung hinzubekommen, die öffentlichen Haushalte inklusive dem Sozialsystem nicht zu überfordern und staatliche Intervention entschlossen zurückzufahren.
Früh war klar, dass unternehmerische Liquidität und Solvenz im akuten Krisenmanagement und für einen erfolgreichen Wiederhochlauf entscheidend sind. Zu Recht stehen öffentliche Mittel in Milliardenhöhe bereit. Die Zugangskriterien helfen nicht allen Unternehmen im Mittelstand, da sollte die Politik gezielt nachjustieren. Jenseits davon höre ich, dass Förderbedingungen – seien es staatliche Vorgaben oder Erwägungen von Banken – unternehmerische Freiheiten stark einschränken. Kein Wunder, dass Mittelständler und Familienunternehmen in Ihrem Selbstverständnis davon so weit wie möglich Abstand halten.
Bestätigt die erwähnte BDI-Umfrage diese Einschätzung?
Die BDI-Umfrage zeigt, dass 62 Prozent der Unternehmen keine staatlichen Finanzhilfen nutzen wollen. Mittelständler setzen eben auf unternehmerische Lösungen und eigene Mittel, sie lieben unternehmerische Unabhängigkeit und wollen sie behalten. Ein ordnungspolitischer Knackpunkt ist die Idee, die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht zu verlängern. Bemerkenswerte 70 Prozent der befragten Mittelständler meinen, dass damit Märkte und Wettbewerb verzerrt werden. Das drückt die Sorge davor aus, das gesunde Unternehmen, die selber hart kämpfen müssen, von nicht tragfähigen Geschäftsmodellen beeinträchtigt werden. Hier erkennen wir einen Eingriff, der nicht wettbewerbsneutral ist. Das schürt Unsicherheit und gefährdet einen erfolgreichen Wiederhochlauf.
Positiv bewertet wird der vereinfachte und absehbar auf 24 Monate verlängerte Zugang zu Kurzarbeitergeld. Das entlastet Betriebe, stärkt unternehmerische Planungssicherheit und sichert vor allem Mitarbeiter und deren Familien ab. In der BDI-Umfrage zeigen sich 63 Prozent überzeugt, dass so Unternehmen und Arbeitsplätze vor akuter Gefährdung geschützt werden können, nur 27 Prozent sehen diese Maßnahme als verfehlt. Festhalten will ich auch: die in breiten Kreisen wachsende Staatsgläubigkeit müssen wir kritisch befragen. Letztlich gilt es mittel- und langfristig darauf zu achten, dass der ordnungspolitische Rahmen – offener Markt und fairer Wettbewerb – nicht beschädigt wird.
Das Krisenmanagement der Politik bewerten Sie differenziert. Was wäre eine klare Kritik?
Mich beunruhigt, dass die Politik bisher die Chance in der Krise versäumt. Ein erfolgreiches Management der Krise reicht noch nicht, um auch tragfähige Zukunft zu gestalten. Nicht nur Unternehmen, auch Standorte sind stetig auf Wettbewerbsfähigkeit und Resilienz zu überprüfen. Wir Unternehmer arbeiten da täglich dran, manchmal auch mit schmerzhaften und unpopulären Maßnahmen.
Schon seit zwei Jahren werbe ich dafür, dass die Politik in Europa, Bund und Ländern auf sieben Handlungsfeldern mehr Mittelstand wagen sollte. Die Forderungen sind altbekannt, doch rücken sie in neuer Aktualität auf die politische Tagesordnung. Als aktuelle Prioritäten ergibt die BDI-Umfrage „Strukturreformen bei Steuern und Abgaben umsetzen“ (70 Prozent), „Bürokratie abbauen und besseres Recht setzen“ (67 Prozent) und „Energiekosten begrenzen“ (54 Prozent). Damit stehen für mich erste wirtschaftspolitische Themen für den kommenden Bundestagswahlkampf fest. Daran müssen sich alle Parteien, Programme und Personen messen lassen.
Sie schreiben der Politik allerhand ins Pflichtenheft. Sehen Sie Verantwortung auch in der Wirtschaft selber?
Natürlich müssen auch Unternehmen Ihre Verantwortung übernehmen. Und sie können es auch. Denn Solidarität über Größen, Branchen und Regionen hinweg hilft weiter. Wir machen als Unternehmen auch in der schwierigsten Zeit positive Erfahrungen als Geschäftspartner, Zulieferer und Kunde.
Unternehmen dürfen nicht nur auf die Politik warten, sondern müssen auch vor der eigenen Türe kehren. Gerade wir Mittelständler wollen schnellstmöglich zurück zu effektiven Wertschöpfungsverbünden und Lieferketten. Grundsätzlich steht in der Krise auch die Zusammenarbeit von Unternehmen unter Druck. Allerdings sind doch gerade ausdifferenzierte Branchen- und Unternehmensstrukturen sowie verlässliche, faire und belastbare Wertschöpfungsverbünde ein Garant für dynamische Wettbewerbsvorteile. Cluster und Netzwerkstrukturen, die steter Überprüfung und dynamischer Veränderung standhalten, haben besondere Bedeutung. Sie helfen, Kompetenzbündel und Synergien entwickeln zu können – und das schafft wertvolle Wettbewerbsvorsprünge.
Zu hören ist schon seit längerem, dass Unternehmen bestellte Waren verweigern, Abrufplanungen nicht rechtzeitig anpassen, Zahlungsziele strecken, Finanzierungssysteme hinterfragen oder begonnene Neuprojekte verzögern. Das sind alles Verhaltensweisen, die für mittelständische Familienunternehmen schnell existenzielle Fragen aufwerfen können. Knapp 60 Prozent der Befragten sehen das Verhalten ihrer Kunden stark bis sehr stark hinderlich für den Wiederhochlauf des Unternehmens. Hier schlummert Potenzial zur schnelleren Überwindung der Corona-Krise.
Fairness üben und sich auf erfolgreiche Zusammenarbeit als ehrbare Kaufleute besinnen – diese Verantwortung können wir ganz ohne staatliches Zutun übernehmen. Am Ende sind wir nur gemeinsam wettbewerbsfähig auf den internationalen Märkten. Das galt vor der Krise, das gilt in der Krise, und das wird auch danach gelten.