Nur wenige Stunden nachdem die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in ihrer Rede zur Lage der Union ein neues EU-Klimaziel für 2030 vorgeschlagen hatte, stellte sich Frans Timmermans, Exekutiv-Vizepräsident der EU-Kommission und verantwortlich für den Europäischen Green Deal, den Fragen der deutschen Industrievertreter. Sie machten deutlich, dass die deutsche Industrie an den Zielen des Pariser Klimaabkommens festhalten will, äußerten aber auch konstruktive Skepsis gegenüber den Folgen einer Verschärfung der CO2-Minderung für die Wirtschaft.
„Schon um das bestehende EU-Klimaziel einer Emissionsminderung von 40 Prozent bis 2030 zu erreichen, müssten alle 27 EU-Staaten ihre Klimaschutzanstrengungen ab sofort fast verdreifachen. Eine Anhebung des Minderungsziels auf 55 Prozent wäre eine Verfünffachung der bisherigen Klimaschutzanstrengungen“, sagte BDI-Präsident Dieter Kempf.
„Der Plan der EU, die Klimaziele noch einmal deutlich zu verschärfen, stellt Wirtschaft und Gesellschaft inmitten der größten Wirtschaftskrise seit dem Zweiten Weltkrieg vor enorme Herausforderungen mit ungewissem Ausgang“, unterstrich Kempf. „Verschärfte Klimaziele engen den Spielraum der von der Coronakrise hart getroffenen Unternehmen weiter ein und belasten sie zusätzlich.“
Timmermanns, der über einen Livestream zum Kongress zugeschaltet war, zeigte sich offen für einen Dialog über die Folgenabschätzung des 55-Prozent-Ziels. Er erinnerte daran, dass die EU-Kommission erst im kommenden Jahr konkrete Maßnahmen vorschlägt und dabei eine technologieoffene Politik verfolge. Das bedeute auch, dass es zu keinem Verbot des Verbrennungsmotors kommen würde.
Anfang 2021 soll die CO2-Bepreisung in Deutschland auch für alle industriellen und privaten Verbraucher starten, die der europäische Emissionshandel nicht erfasst. Inwieweit ein solches Carbon-Pricing ein Treiber für klimafreundliche Investitionen oder doch eher Stolperstein ist, beantwortete ein Vertreter des Mittelstands deutlich: „Wenn es bei mir vor Ort keinen Wasserstoffanschluss gibt und in Deutschland keinen Markt für die erforderlichen Mengen, dann kann ich vor dem steigenden CO2-Preis gar nicht in klimafreundliche Alternativen ausweichen“. Das Resultat daraus sei, dass Jahr für Jahr mehr aus seinem Unternehmen abgeschöpft würde – und dadurch seine finanziellen Möglichkeiten für Investitionen schrumpften.
Die Kreislaufwirtschaft sei ein weiterer, bisher unterschätzter Hebel, um weiter Treibhausgase zu reduzieren, wie das hochkarätige Panel zur Kreislaufwirtschaft klarstellte. Bislang sei Kreislaufwirtschaft zu sehr als reines Umweltschutzthema verstanden worden. Dabei sei dies auch ein zentraler Ansatzpunkt für mehr Klimaschutz. Entscheidend ist, bei der Güterproduktion nicht nur die Entsorgung, sondern besser noch die zirkuläre Wiederverwendung der Materialien mitzudenken.
Auf dem Wasserstoffpanel trafen sich Vertreter aus Politik, Mineralölwirtschaft, Autozulieferer, Schwerlast- und Luftverkehr, um über die Potenziale von Wasserstoff für das Erreichen der Klimaziele zu diskutieren. Es herrschte die übereinstimmende Meinung, dass es eine Alternative zum Öl braucht, um Klimaneutralität bis 2050 zu erreichen. Wasserstoff könne das Erdöl der Zukunft werden. Hierfür müssen allerdings zunächst Förderkonzepte einer industrialisierten Produktion entwickelt werden, die zu großen Mengen und einer starken Preissenkung führen. Stefan Kaufmann, Wasserstoffbeauftragte der Bundesregierung, machte deutlich, dass die erforderlichen Mengen nicht nur aus Deutschland und aus Europa kommen könnten. Die Bundesregierung erstelle aktuell einen Potenzialatlas für Wasserstoff, um Kooperationsmöglichkeiten für die Erzeugung von grünem Wasserstoff im globalen Maßstab aufzuzeigen.
Der dritte BDI-Klimakongress machte deutlich: Vom Verkünden neuer Klimaziele ist es ein weiter Weg bis zur tatsächlichen Erreichung solcher Ziele. Wirtschaft und Politik müssen gemeinsam und mit Mut zur Ehrlichkeit daran arbeiten, dass eine Zielerreichung auch realistisch wird.