„Wohl selten waren die Erwartungen an einen neuen US-Präsidenten so hoch wie an Joe Biden. Das Interesse des künftigen US-Präsidenten an besseren Beziehungen zu alten Verbündeten muss uns aufrütteln. Klar ist: Transatlantische Zusammenarbeit ist kein Selbstläufer. Die USA-Agenda von Ursula von der Leyen geht in die richtige Richtung. Jetzt müssen allerdings Taten folgen: für gemeinsamen Handel, Digitalisierung, Klimaschutz, Sicherheit und Raumfahrt.
Die Signale Bidens stimmen optimistisch. Aber ob eine engere Zusammenarbeit zwischen den USA und Deutschland tatsächlich gelingt, liegt genauso an Europa und damit auch an Deutschland. Der neue Präsident wird nach vier Jahren Donald Trump zunächst auf innenpolitische und binnenwirtschaftliche Themen setzen müssen. Nur wenn die Bundesregierung innerhalb der EU zügig und spätestens im nächsten halben Jahr die Initiative für eine neue Kooperation ergreift, wird ein transatlantischer Neustart gelingen.
Als exportorientierte Nation ist Deutschland auf wieder stabilere Handelsbeziehungen und eine starke Welthandelsordnung angewiesen. Ein transatlantisches Industriegüterabkommen wäre ein wichtiger Schritt. Auch die gegenseitige Anerkennung von Konformitätsbewertungen sollten die Partner lieber morgen als übermorgen voranbringen. Durch die gegenseitige Anerkennung von Prüfergebnissen innerhalb eines Wirtschaftsraums würden unnötige Doppelprüfungen wegfallen. Dies würde Unternehmen in der aktuell schwierigen wirtschaftlichen Lage entlasten.
Jetzt gilt es außerdem, die verspätete Berufung der WTO-Generaldirektorin zu vollziehen – und gemeinsam, im transatlantischen Tandem, für Reformtempo zu sorgen. Ein globaler Regelungsrahmen für den elektronischen Handel einschließlich Datentransfers ist dabei im besonderen Interesse der USA. Auch ein Ende der US-Blockade des wichtigen Streitschlichtungsmechanismus der WTO ist wieder ein realistisches Ziel. Neue Regeln für Industriesubventionen und staatseigene Unternehmen sind ebenfalls nur denkbar, wenn EU und USA gemeinsam agieren.
Wir sind bei allem ökonomischen Wettbewerb Partner, keine Feinde. Das drohte zuletzt in Vergessenheit zu geraten angesichts des langjährigen Airbus-Boeing-Streits und der von den USA verhängten Stahl- und Aluminiumzölle sowie der angedrohten Autozölle.
Auch in der Frage des Umgangs mit China waren Europa und die USA eher entzweit als geeint: ein eskalierender Handelskonflikt, immer höhere Investitionshürden und Verbote von Technologie-Lieferungen in den USA, in der EU dagegen der Ruf nach möglichst konstruktiver Zusammenarbeit trotz der Herausforderung eines systemischen Wettbewerbs. Schnell muss es darum gehen, in der China-Politik mit Washington gemeinsame Ansätze zu finden.
Für die Wiederbelebung der transatlantischen Freundschaft braucht es konkrete Projekte. Bereits heute wird das entscheidende Service-Modul für das neue US-Mondraumschiff Orion in Bremen hergestellt. Europa und die USA sollten die bemannte Rückkehr zum Mond zu einem gemeinsamen transatlantischen Projekt machen, um hier wie dort mit Innovation zu begeistern.
Wir müssen mit den USA wieder an einem Strang ziehen – und mehr miteinander sprechen als übereinander. Das wäre eine wichtige Nachricht für unsere Wirtschaft wie für die Bürgerinnen und Bürger auf beiden Seiten des Atlantiks.“