Die Thesen für Europas Zukunft
Vorwort von Siegfried Russwurm und Joachim Lang: Die europäische Alternative: Unser Weg in Zeiten des globalen Umbruchs
• „Wandel durch Handel“ hat sich in einigen Teilen der Welt als Illusion erwiesen.
• Durch starke Innovationskraft kann das europäische Modell erfolgreich in den globalen Systemwettbewerb eintreten. Europäische Standards in der Handels-, Technologie- und Klimapolitik müssen zum internationalen Vorbildmodell werden.
Schlusswort von Joachim Lang und Wolfgang Niedermark: Der europäische Weg – eine Strategie
• Es bedarf eines deutschen Selbstbewusstseins für die Stärke und die Bedeutung der europäischen Gemeinschaft. Daraus ergibt sich möglicherweise eine Abkehr von lupenreiner Ordnungspolitik.
• Die Aufforderung zu mehr europäischem Engagement trifft nicht nur die Politik. Es handelt sich um eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, der sich auch die deutsche Wirtschaft offensiver als in der Vergangenheit stellen muss. Ein erfolgreicher Weg in die Zukunft kann für die deutsche Industrie nur einen originär europäischen Weg bedeuten.
Daniela Schwarzer: Selbstbehauptung im Systemkonflikt: Wie die EU ihre innere Stärke und externe Handlungsfähigkeit entwickeln kann
• In der EU haben sich „Verhinderungsgruppen“ gebildet, während die traditionellen Motoren wie Deutschland und Frankreich zurückhaltender sind, neue Initiativen zu starten.
• In der geoökonomischen Welt sind Interdependenzen und Wertschöpfungsketten zum Unsicherheitsfaktor geworden. Externe wirtschaftliche Verflechtungen mit China wie im Falle Deutschlands beschränken die außenpolitische Handlungsfähigkeit.
Sigmar Gabriel: Abschied vom Atlantik: Die transatlantische Allianz dreht sich um vieles – nur nicht mehr um den Atlantik
• Die Kritik an der geopolitischen Strategie Chinas ist Zeugnis von der Strategielosigkeit des Westens. Gescheiterte Reset-Politik mit China, Scheitern von TPP sowie TTIP belegen Schwäche. Joe Biden setzt Weg zur „Pacific Nation“ unbeirrt fort.
• Chinas Ambitionen dürfen nicht unterschätzt werden, aber ebenso wenig für unangreifbar gehalten werden: vier Atommächte um China, Handelskonflikte sowie demografisches Problem.
• Der Westen kann den Systemwettbewerb nur gewinnen, wenn er eine soziale gerechte Form des globalen Kapitalismus entwickelt, vor allem als verbindendes Element zwischen den USA und Europa.
Mikko Huotari: Antifragile Supermacht: Wie sich Chinas Parteistaatskapitalismus auf die globale Führung vorbereitet
• Chinas Sicherheit ist das dominante Paradigma für fast alle Politikbereiche – innen und außen, mit zunehmend paranoidem Charakter. Chinas Staats- und Parteisystem steht im Jahr 2022 (20. Parteitag) vor größter Herausforderung der vergangenen zehn Jahre: Produktivitätszuwächse schwer zu erreichen, soziale und regionale Ungleichheit immer gravierender, Erschöpfung der Gesellschaft, hohe Verschuldung.
• Die europäische Politik muss vertiefte Beziehungen mit strategischer Vorausschau verbinden, China-Kompetenzen erhöhen und Politik koordinieren: offener strategischer Wettbewerb mit prinzipieller Vorsicht und diversifizierten wirtschaftlichen Beziehungen.
Janine Calic: Herausforderungen für Europa: Der Westliche Balkan
• Trotz geostrategischer Bedeutung des Balkans und positiver Indikatoren für einen EU-Beitritt (Demokratisierung, Wirtschaftstransformation, öffentliche Meinung) hat seit 2014 eine Re-Nationalisierung des Diskurses in den Balkan-Staaten stattgefunden. Ergebnis der Stagnation ist ein machtpolitisches Vakuum.
• Eine Fortsetzung des Beitrittsprozesses kann nur gelingen, wenn die EU ihre internen Probleme des Brexits, Rechtsstaatsfragen löst und Uneinigkeit überwindet.
Janka Oertel: Strategische Souveränität? Europäische Handlungsfähigkeit und die neue Systemrivalität
• Europas Kooperationsagenda ist immer noch am Freihandelsparadigma und an Wunschvorstellungen gegenüber China orientiert. Der Mangel an Entschlossenheit und Klarheit europäischer Politik kann dazu führen, das Moment verpasst wird, die China-Agenda der USA mitzugestalten.
• Es braucht ein Umdenken in europäischer Außenwirtschaftspolitik hin zu sektoraler Kooperation, um andere Wirtschaftsräume rascher zu öffnen. Intrainstitutionelle Hürden müssen abgebaut werden.
Lars P. Feld: Marktwirtschaft vs. Staatskapitalismus: Ist unser Wirtschaftsmodell konkurrenzfähig?
• In wirtschaftlichen Krisenzeiten müssen Prioritäten für bestimmte Prinzipien gegenüber anderen gesetzt werden. Dieser Ausnahmezustand von der Ordnungspolitik muss temporär sein.
• Ordnungs- und Prozesspolitik muss auf Offenheit setzen – vor allem Technologieoffenheit und allgemeiner Zugang zu Forschungsförderung. Selektive Vorteile für bestimmte Technologien widersprechen ordnungspolitischen Prinzipien. Industriepolitik darf nicht als Vorwand genutzt werden, grundlegende Prinzipien der Wettbewerbspolitik zu unterlaufen (Subventionen für Industrie für Klimaschutz).
Ottmar Edenhofer und Michael Pahle: Ein umfassender CO2-Preis als Leitinstrument für die europäische Klimapolitik
• Ein CO2-Preis als Leitinstrument der europäischen Klimapolitik führt am besten zur Entwicklung und zum Hochlauf nachhaltiger Technologien, die im großen Maßstab angewendet werden können. Durch Regulierung Gewinner und Verlierer auszuwählen stiftet mehr Schaden als Nutzen.
• Ein Klimaclub der „G3“ kann am ehesten Protektionismus vorbeugen und Carbon Leakage verhindern. Klimaverhandlungen müssen dafür nicht über Mengenziele verhandeln, sondern über CO2-Preise.
Achim Wambach: Ordnungspolitik 2.0: Weniger Wettbewerb, mehr Souveränität?
• Das Wirtschaftsmodell der sozialen Marktwirtschaft ist ein Erfolgsmodell und sollte weiterhin das Leitbild und die Richtschnur in der EU bilden. Deshalb sollte die Europäische Union auch Subventionen aus Drittstaaten, insofern sie an Unternehmen gehen, die im europäischen Binnenmarkt tätig sind, einer Kontrolle unterziehen.
• Industriepolitische Eingriffe als Reaktion auf das Aufkommen Chinas sind ordnungspolitisch schwerer zu begründen und sollten nur mit Augenmaß erfolgen. Eine konsequentere Innovationspolitik zur Gestaltung des Strukturwandels hingegen ist zu empfehlen. Zur Verringerung von Abhängigkeiten der europäischen Wirtschaft sollte eine stärkere Diversifizierung der Lieferketten angestrebt werden. Die EU könnte durch weitere Handelsabkommen dazu beitragen.
Stefan Mair: Partner und Allianzen: Neue Soft Power?
• Die Pflege von Partnerschaften und Allianzbeziehungen sind essenzielle Elemente der Stärkung und der Ausübung von Soft Power der EU. Dabei bleibt die EU aber hinter ihren Möglichkeiten. Die EU sollte EU-Partnerschaftskategorien bilden, die sich in Tiefe und Umfang der Beziehungen unterscheiden. Strategische Partner (USA), Gewichtige Partner (Türkei), Beziehung (Russland), Allianzen (NATO) und plurilaterale Formationen.
• Die EU sollte erwägen, Überlegungen zu einer plurilateralen Formation, in der sie gleichrangig mit Ländern wie den USA, China, Russland, Indien, Japan und Korea vertreten ist, voranzutreiben.
Niclas Poitiers und Guntram Wolff: Technologiepolitik: Game Changer für ein souveränes Europas?
• Ziel der europäischen Politik muss es sein, die Verwundbarkeit gegenüber China zu reduzieren und Interdependenzen zu managen, ohne dabei den Wettbewerb im Binnenmarkt zu unterwandern oder das Welthandelssystem zu schwächen.
• Die europäische Industriepolitik muss verhindern, dass die EU in strategischen Bereichen wie der Halbleiterindustrie einseitig in Abhängigkeit gerät. Aber gleichzeitig darf keinesfalls der einfache Verweis auf äußere „Bedrohungen“ die Wettbewerbskontrolle und das Beihilferecht untergraben.
Das Buch „Die europäische Alternative“ ist im Herder Verlag erschienen, hat 208 Seiten und kostet 20 Euro (ISBN 978-3-451-39071-5).