„Die Wirtschaftsleistung wächst das zehnte Jahr in Folge. Wir erwarten 2019 einen Zuwachs des Bruttoinlandproduktes von eineinhalb Prozent. Das entspricht dem Wachstum des vergangenen Jahres. In der Industrie hat die Beschäftigung seit 2010 ununterbrochen zugelegt. In Deutschland ist die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten auf rund 33,5 Millionen gestiegen. Im Jahresdurchschnitt entspricht dies einem Plus von circa 700.000 Stellen. Dieses Jahr dürfte die Zahl dieser Beschäftigten weiter zunehmen: Wir erwarten immerhin noch ein Plus von etwa 400.000 Stellen.
In unserer Prognose fürs neue Jahr gehen wir davon aus, dass es nicht zu einem ungeordneten, unkontrollierten Brexit kommt. Bei massiven Störungen im Handel zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU gehen wir von einem schwächeren Plus aus. Es bliebe bestenfalls noch gerade eine Eins vor dem Komma beim realen Wirtschaftswachstum in Deutschland.
Die Konjunktur bleibt zwar noch robust, jedoch auf deutlich gedämpftem Niveau. Wirtschaftlich sind die besten Zeiten vorbei. Der Blick auf die Weltmärkte bereitet uns eine Menge Bauchschmerzen. Schließlich hängt etwa jeder vierte Arbeitsplatz in Deutschland vom Export ab, in der Industrie sogar mehr als jeder zweite. America first und China first sind bedrohliche Risiken für die Weltwirtschaft – und damit für Volkswirtschaften überall auf der Welt, auch auf unserem Kontinent. Umso dringlicher ist in dieser kritischen Phase eine kluge Reaktion aus Europa. Protektionismus ist keine Antwort auf protektionistische Maßnahmen.
Mit Blick auf China haben wir soeben ein Grundsatzpapier mit 54 Forderungen an Berlin und Brüssel vorgelegt. Entgegen früherer Erwartungen entwickelt sich das Land absehbar nicht hin zu Marktwirtschaft und Liberalismus. Dies müssen wir Europäer realistisch betrachten: Wir stehen mit China in einem Wettbewerb der Systeme. Deshalb schlagen wir vor, das Beihilfenrecht und die Anti-Subventions-Instrumente der EU zu schärfen.
Reformen bleiben auch in der deutschen Wirtschaftspolitik das A und O: Die Bundesregierung braucht mehr Mut für Veränderungen. Drei Standort-Themen sind von besonderer Bedeutung: Steuern, Digitalisierung und Energie.
Steuern: Deutschland ist inzwischen ein Höchststeuerland. Die effektive Steuerlast unserer Unternehmen ist mit mehr als 30 Prozent viel zu hoch. Es ist überfällig, Steuern zu senken. Ein deutliches Signal von maximal 25 Prozent wäre wichtig. Damit wären wir auf OECD-Niveau. Der EU-Durchschnitt liegt sogar noch darunter, bei 21,7 Prozent.
Den Anfang sollte der Einstieg in den Ausstieg vom Soli machen. Das Hin und Her in dieser Endlos-Diskussion erinnert mich mehr an eine Inszenierung im Theater als an ernsthafte Politik. Dass der Bundeswirtschaftsminister niedrigere Steuern verlangt, ist richtig und wichtig. Dass der Bundesfinanzminister sich mit vagen Äußerungen zu möglichen Krisenfällen begnügt, ist einfach zu wenig. Die Steuern müssen runter – jetzt.
Beispiel Gewerbesteuer. Sie ist nicht mehr zeitgemäß, sondern eine Exotin, die jede Bemühung zur internationalen Angleichung behindert. Dagegen ist die steuerliche Forschungsförderung international üblich und bewährt – nur in Deutschland immer noch nicht.
Digitalisierung: Mit dem Thema 5G hat die Politik bei den Bürgern falsche Erwartungen geweckt. Ein flächendeckender Ausbau mit 5G ist realitätsfern, unausgegoren und überdies ökonomisch sinnlos. Viel ist gewonnen, wenn erst einmal 4G möglichst flächendeckend ausgebaut wird, auch für jeden vom Funkloch geplagten Handynutzer.
Energie: Bei der Energie- und Klimapolitik warne ich vor unüberlegten Schritten. Selbstverständlich muss Klimaschutz organisiert werden. Aber das funktioniert nicht gegen Anbieter und Nachfrager, sondern nur gemeinsam mit Unternehmen und ihren Kunden.
Fahrverbote für Dieselfahrzeuge in einzelnen Straßen sind absolut kontraproduktiv. Wegen fehlender Lade- und Tankinfrastruktur für Strom und Wasserstoff steigen die Leute auf Benziner um. Diese haben deutlich höhere CO2-Emissionen als moderne Dieselfahrzeuge. Neben dem Antriebswechsel – gleichgültig ob batterieelektrisch oder mit Wasserstoff – müssen wir technologieoffen auch CO2-neutrale Kraftstoffe einsetzen, um die Klimaziele zu erreichen. Daher brauchen wir in der Wirtschaft von der Politik Unterstützung für technologieoffene Forschung und Entwicklung. Auch muss es darum gehen, Strukturwandel erfolgreich zu gestalten – und politisch intelligent zu begleiten. Klimaschutz darf die Gesellschaft nicht spalten. Davon profitieren bei den nächsten Wahlen nur Rechts- und Linkspopulisten. Sie haben keine Lösung im Angebot, die in Deutschland oder anderswo in Europa dauerhaft Erfolg und Wohlstand verspricht. Protektionismus und Populismus sind keine Lösungen für europäische Herausforderungen. Europa ist nicht die Ursache, sondern die Lösung vieler Probleme. Und die Wirtschaft ist immer Teil der Lösung.“