Oberste politische Priorität muss die Stärkung des Industrie-, Export- und Innovationstandorts haben: Die Industrie ist der Motor, der Wirtschaft und Wohlstand unseres Landes antreibt. Und auch in der politischen Unterstützung des klimaneutralen Industriestandorts gilt: „Gut gemeint“ ist noch lange nicht „gut gemacht“.
Nach zwei Jahren Pandemieerfahrung wissen wir, dass wir nicht sicher sein können vor Überraschungen – die Virusmutationen machen uns das gerade deutlich. Wir wissen aber auch, dass die Industrie mit ihren rund acht Millionen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ihre Aktivitäten im Großen und Ganzen trotz strikter Pandemie-Maßnahmen verlässlich aufrechterhalten hat. Die Unternehmen nehmen Gesundheitsschutz ernst, die Schutzmaßnahmen funktionieren. Penibel eingehaltene Hygienekonzepte schaffen größtmögliche Sicherheit und halten die Produktion aufrecht. Umso wichtiger ist es, weiterhin den Gesundheitsschutz so gut wie möglich zu gewährleisten und gleichzeitig die Industrie am Laufen zu halten.
Aber: Für eine Industrienation, die Tag für Tag im weltweiten Wettbewerb steht, ist das bloße Aufrechterhalten von Aktivitäten zu wenig. Auch eine Rückkehr zum Vorkrisenniveau reicht nicht aus. Die Politik muss den Negativtrend der vergangenen Jahre umkehren, über die Krisenbewältigung hinaus die Schlagzahl erhöhen und einen Wachstumskurs einschlagen.
So notwendig akutes Krisenmanagement ist, so wichtig bleibt der Blick für das große Ganze. Keinesfalls darf sich die Coronakrise zu einer chronischen Wirtschafts- und Gesellschaftskrise auswachsen. Es muss gelingen, die Krise als Chance zu nutzen und gestärkt aus ihr hervorzugehen. Schaffen wir nicht nur ein „New Normal“, sondern ein „Better Normal“. Deshalb muss es auch darum gehen, rechtzeitig Fortschritt zu organisieren für ein Leben nach Corona. Den Standort machen hohe Energiekosten, schleppender digitaler Wandel, mangelnde Infrastruktur-Investitionen, lähmende Regulierung und hohe Steuern immer weniger attraktiv für Unternehmen aus dem In- und Ausland.
Beispiel Klimaschutz: Der politische Handlungsdruck zum Erreichen der Klimaneutralität bis 2045 beim gleichzeitigen Erhalt einer global wettbewerbsfähigen Industrie ist gewaltig. So muss Deutschland in den kommenden acht Jahren bis 2030 einen Investitionsturbo einlegen und in allen Wirtschaftssektoren insgesamt 860 Milliarden Euro allein für den Klimaschutz investieren. Die realistische und schonungslose Bestandsaufnahme von Bundeswirtschafts- und -klimaminister Habeck am Dienstag deckt sich in der Problemanzeige mit den Berechnungen der Industrie: Die aktuellen Planungen reichen in keinem Sektor auch nur annährend aus.
Umso mehr kommt es auf die richtigen Maßnahmen an: Die Ankündigung, Klimaschutzverträge – Carbon Contracts for Difference – als ein zentrales Instrument zur Unterstützung der Transformation in der Industrie einzusetzen, damit die Unternehmen global wettbewerbsfähig bleiben können, ist richtig – aber auch hier muss die Umsetzung unverzüglich erfolgen. Die notwendigen Investitionen wird der Staat nicht alleine stemmen können. Die Regierung muss dafür sorgen, dass sich die Investitionen der Unternehmen und der Bürgerinnen und Bürger wieder lohnen – mit Superabschreibungen, einem massiven und schnellen Infrastrukturausbau weit über die jetzigen Planungen hinaus und schnelleren Planungs- und Genehmigungsverfahren. Bei der Umsetzung der Energiewende müssen wir ab sofort in Monaten statt in Jahren denken.
Wir alle, ganz besonders aber die Industrie braucht Energie, die zu jeder Uhrzeit und bei jedem Wetter verlässlich zur Verfügung steht, trotz Atom- und Kohleausstiegs. Für die Versorgungssicherheit muss der Ausbau der erneuerbaren Energie gekoppelt sein mit einem massiven Aufbau langfristig wasserstofffähiger Gaskraftwerke als Brückentechnologie.
Der rasante Anstieg der Nachfrage nach elektrischer Energie droht zur Gretchenfrage für die Klimaschutzpläne zu werden. Der BDI rechnet in seiner Klimapfade-Studie, die 150 Experten aus 80 Unternehmen und Verbänden über 6 Monate erarbeitet haben, mit einem starken Zuwachs der Nettostromnachfrage: Von zuletzt rund 500 Terawattstunden pro Jahr dürfte sich die Nachfrage bis zur Klimaneutralität 2045 verdoppeln auf nahezu 1000 Terawattstunden – durch Elektromobilität, Wärmepumpen zum Heizen unserer Wohnungen und massive Elektrifizierung von industriellen Prozessen.
Eine komplexe Transformation wie die Digitalisierung oder die Dekarbonisierung lässt sich nicht ohne, sondern nur mit der Wirtschaft meistern. Die Unternehmen besitzen das technologische Know-how, sie kennen die Märkte, die Bedürfnisse ihrer Kunden, die Rahmenbedingungen der Produktion. Aber sie müssen langfristig planen können, um auch in Zukunft mit ihren Produkten im globalen Wettbewerb mitzuhalten, ihre Kunden zufriedenzustellen und damit nicht zuletzt auch Arbeitsplätze zu sichern.
Investitionsanreize für private Unternehmen, zielgerichtete öffentliche Investitionen und deutlich schnellere Planungs- und Genehmigungsverfahren sind heute notwendig, nicht erst morgen. Dass die Ampel-Koalition zum Beispiel verstärkt in Quantentechnologien oder künstliche Intelligenz investieren will, ist für die Sicherung unserer technologischen Souveränität richtig und wichtig. Erforderlich sind unbürokratische und flexible Förderinstrumente – und zwar für Unternehmen jeder Größe, auch im Mittelstand.
Selten war ein Jahresausblick mit so viel Unsicherheit behaftet. Selten standen aber auch die Chancen für einen politischen und wirtschaftlichen Aufbruch so gut. Fortschritt ist machbar. Dass er politisch gewollt ist, freut unsere Unternehmen, die ihre Chancen nutzen wollen. Die neue Bundesregierung ist gut beraten, sich mit ganzer Kraft um die Umsetzung des Fortschritts zu kümmern.