„Viele Unternehmen haben jenseits des Sanktionsregimes entschieden, mit diesem Regime keine Geschäfte mehr zu machen“, sagte der BDI-Präsident auf die Frage, ob die von Bundeskanzler Olaf Scholz proklamierte Zeitenwende infolge des russischen Krieges endgültig in der Wirtschaft angekommen sei. Zahlreiche Unternehmen, die bisher nur Waren nach Russland geliefert hatten, hätten sofort aufgehört. Es mache ihn fassungslos und traurig, dass Russland für die Weltgemeinschaft praktisch verloren sei, sagt Russwurm: „Auch für mich persönlich ist das eine bittere Enttäuschung.“
Abhängigkeiten müssten vermieden werden: „Wir lernen gerade schmerzhaft, dass es im Umgang mit Autokratien keine Sicherheiten gibt.“ Regierungen und Unternehmen müssten sich damit auseinandersetzen, dass der russische Präsident den Minimalkonsens der zivilisierten Welt aufgekündigt hat. „Heute wissen wir, dass eine solche Situation eintreten kann. Man darf auch dann nicht erpressbar sein und muss handlungsfähig bleiben“, erläutert der BDI-Präsident. Grundsätzlich gelte: Wirtschaftlich kooperieren auch mit Ländern, die keine liberalen Demokratien sind, sei nicht verkehrt und aus vielerlei Gründen sinnvoll. „In Abhängigkeit darf man sich aber nicht begeben.“
Wie das gelingen kann? Russwurm setzt auf Diversifizierung: „Erst einmal sollten sich Unternehmen sowohl bei der Beschaffung, etwa von Rohstoffen, als auch auf der Seite des Zielmarkts breit aufstellen. Damit gehen Skaleneffekte verloren, aber der Verzicht auf maximale Effizienz ist der Preis für das, was jetzt Resilienz heißt. Ganz einfach: Alle Eier in einen Korb legen ist nie eine gute Idee.“
Für Russwurm bilden Rationalität und Moral ausdrücklich keinen Begriffsgegensatz: „Ich halte es für höchst rational, eigene moralische Grundsätze zu haben. Jede Unternehmensführung ist für sich gefordert und gut beraten, rote Linien zu ziehen. In vielen Werken westlicher Unternehmen in China merken Sie nicht, an welchem Standort Sie sind, weil ihr Standard zum Beispiel bezüglich Arbeitssicherheit global ist.“ Wenn aber bekannt sei, dass ein Zulieferer Zwangsarbeiter beschäftigt, sei es „eine moralische Verpflichtung, dieses Geschäft zu beenden“.
Aktivitäten deutscher Unternehmen vor Ort würden weniger entwickelte Region und die Menschen dort voranbringen. In manchen Fällen mache die Politik Vorgaben: „Wer in die attraktive Region A will, muss auch der Region B helfen.“ Würde es dabei aber nicht um wirtschaftlichen Fortschritt gehen, sondern darum, der Unterdrückung einer Volksgruppe Vorschub zu leisten, wäre es kein monetäres Problem mehr. Russwurm: „Es gibt Preise, die nicht in Euro zu beziffern sind. Für die gilt kein Wechselkurs. Moral ist nicht käuflich.“