„Die deutsche Industrie ist in Sorge um die Zukunft des Industriestandorts Deutschland. Unsere ursprüngliche Erwartung an die Große Koalition, grundlegende Weichenstellungen für die Zukunft vorzunehmen, wurde einfach zu oft enttäuscht: Nach einer Abarbeitung sozialpolitischer Programme wurden und werden die für die Wirtschaft wichtigen Themen gar nicht, schlecht oder zeitverzögert und dann unter enormem Druck beraten.
Beispiel Energiewende: Die Novelle des Erneuerbare-Energien-Gesetzes lässt etliche Fragen offen. Gerade die Unternehmen in der Grundstoffindustrie, die für ihre Prozesse viel Energie verbrauchen, sind verunsichert. Seit Beginn des Jahrtausends gibt es einen deutlich messbaren Trend zu Desinvestitionen in energieintensiven Branchen wie Stahl oder Chemie. Dies schwächt zentrale Glieder der für Deutschland typischen Wertschöpfungsketten, die unser Standort am Ende komplett verlieren könnte. Mit deutlich negativen Folgen auch für Industrie 4.0 in Deutschland.
Beispiel Familienunternehmen: Das neue Erbschaftsteuerrecht sorgt ebenfalls für Unsicherheit – und wohl für höhere Steuern, welche die Regierung eigentlich generell hatte vermeiden wollen. Unterm Strich legt die Politik einen zu starken Fokus auf Umverteilung.
Der Regierung fehlt es an einer gemeinsamen Vision unserer Zukunft. Anstatt ihre parlamentarische Überlegenheit für eine große Gestaltungskraft zu nutzen, die dieses Land und seine Wirtschaft wetterfester macht, verbrauchen die Koalitionäre ihre Energie für Stellungskämpfe innerhalb der Regierung und für erste wahltaktische Manöver. Damit gewinnen sie keinen zusätzlichen Wähler – und versagen der Wirtschaft die aktive Unterstützung, die so dringend notwendig wäre.
Die geopolitischen Krisen der vergangenen Monate haben Europa und die Welt schlagartig verändert: von der Flüchtlingskrise und den Terroranschläge bis zum drohenden dramatischen Verlust des Vereinigten Königreichs. Die globale Konjunktur leidet unter diesen Krisen enorm.
Die deutsche Industrie spürt das Mehr von Konflikten, Risiken und Wachstumsschwächen heftiger als andere Wirtschaften: Während die Außenhandelsquote in den USA bei 30 Prozent und in der EU bei 34 Prozent liegt, wuchs sie für Deutschland auf 87 Prozent des Bruttoinlandsprodukts.
Es rächt sich, dass die Politik deutliche Signale für Investoren hat vermissen lassen. Dazu gehören auch öffentliche Investitionen, welche die Standortqualität sichern und verbessern – und den Vorlauf für massive private Investitionen schaffen. Die Unternehmen sind bereit, in Deutschland zu investieren. Doch den Unternehmen bleibt die Regierungsarbeit suspekt.
Nach der parlamentarischen Sommerpause muss sich deshalb einiges ändern: Die Politik muss wirtschaftspolitisch aktiver werden – im Interesse der Beschäftigten und der öffentlichen Haushalte. Dazu zählen die Einführung einer steuerlichen Forschungsförderung, wie sie in den meisten OECD-Staaten längst selbstverständlich ist, Investitionen in Straßen wie Schienen und ein konsequenter Breitband-Ausbau.
Die Politik muss sich grundsätzlich mehr um den Gaul kümmern, der den Karren zieht.“