Die Brexit-Verhandlungen gehen in ihre entscheidende Phase. Vor diesem Hintergrund hat der BDI gemeinsam mit Deloitte vom 19. bis 29. Mai 2020 den fünften Brexit Survey durchgeführt, an dem 248 Unternehmen mit wirtschaftlichen Verbindungen ins Vereinigte Königreich teilgenommen haben. Ziel war herauszufinden, welche Erwartungen die Unternehmen hinsichtlich der Verhandlungen und der Brexit-Konsequenzen für den Standort Deutschland haben und wie sie selbst für den Brexit planen und sich vorbereiten.
BDI-Hauptgeschäftsführer Dr. Joachim Lang sagte: „Unsere Unternehmen beobachten die Brexit-Verhandlungen sehr genau. Mit der andauernden Unsicherheit passen sie ihre Wertschöpfungsketten an. Der schleppende Verhandlungsverlauf erschwert wichtige
Investitionsentscheidungen. Es besteht die Gefahr, dass sich die Verlagerungen weg von Großbritannien auf andere Standorte beschleunigen, wenn sich nicht sehr bald eine Perspektive für eine Wirtschaftspartnerschaft abzeichnet.“
Die im Mai durchgeführte Umfrage zeigt, dass weit mehr als die Hälfte der Firmen zu dem Zeitpunkt immer noch auf eine Verschiebung der Verhandlungsfrist (25 Prozent) beziehungsweise auf einen rechtzeitigen Abschluss und Ratifizierung eines umfassenden
Freihandelsabkommens (26 Prozent) setzte. Diese Hoffnungen aufgegeben hatten da indes fast ein Drittel (30 Prozent) – sie glauben nicht mehr an eine rechtzeitige Einigung und stellen sich daher auf einen harten Brexit ein. Ebenfalls 30 Prozent planen für diesen Fall einen Stellenabbau in Deutschland. Verhandlungskonflikte mit Großbritannien sehen die Unternehmen vor allem bei der EU-Forderung nach fairem Wettbewerb (58 Prozent), gefolgt von den Themen Steuern (45 Prozent) und Subventionen (43 Prozent). Mit dem Brexit bricht für die Europäische Union eine neue Zeitrechnung an. Die Sicht der Unternehmen ist ausgeprägt pro-europäisch. Allerdings sank im Vergleich zu 2019 die Zustimmung zu stärkerer Zentralisierung sehr deutlich, wohingegen die Offenheit gegenüber einer Integration in ausgewählten Bereichen anstieg.
Vor einem Jahr stand die Gefahr eines nachlassenden Handels mit Großbritannien noch an erster Stelle, aktuell befürchten dies 40 Prozent. Besonders hoch fällt diese Besorgnis beim Maschinenbau (55 Prozent) sowie beim Handel (50 Prozent) aus. Die Gefahr eines verschärften Standortwettbewerbs durch neue steuerliche Anreize im Vereinigten Königreich sehen 33 Prozent. Eine Stärkung des Finanzplatzes Deutschland sehen die Unternehmen als größte Chance für den Standort Deutschland als Folge des Brexit (54 Prozent). Fast die Hälfte erwartet Verlagerungen durch den Brexit in Richtung Deutschland. Immerhin 44 Prozent der Unternehmen rechnen zudem mit einer höheren Attraktivität Deutschlands für ausländische Direktinvestitionen.
Fast drei Viertel der an der Umfrage teilnehmenden Unternehmen fühlt sich gut bzw. sehr gut auf den Brexit vorbereitet, ein Fünftel hingegen hält sich für schlecht bzw. sehr schlecht gewappnet. Entsprechend rechnen 38 Prozent der Unternehmen für den Fall eines harten Brexit mit hohen Schäden für ihr Unternehmen, während mehr als die Hälfte eher geringe Beeinträchtigungen erwartet.
Die höchsten Verluste für ihren Bereich erwartet das Bankwesen, das sich zugleich relativ schlecht vorbereitet weiß, während sich die Automobilindustrie überdurchschnittlich gut gewappnet fühlt und geringere Schäden auf sich zukommen sieht. Die Corona-Krise spielt auch bei den Brexit-Vorbereitungen eine Rolle. Zwar hält knapp die Hälfte der Unternehmen am geplanten Vorgehen unverändert fest bzw. verstärkt seine Maßnahmen, doch immerhin ein Drittel gibt an, entsprechende Pläne entweder zurückzufahren (sechs Prozent) oder aufzuschieben (28 Prozent).