Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) erwartet von den Parteien im Bundestagswahlkampf Konzepte für eine nachhaltige Stärkung der wirtschaftlichen Wettbewerbskraft. „Deutschland braucht eine Wachstums- und Investitionsoffensive. Der Industriestandort Deutschland muss zu einem Zukunftsort werden“, sagte BDI-Präsident Siegfried Russwurm auf dem Tag der Industrie in Berlin. „Völlig kontraproduktiv ist es hingegen, über Enteignung, Verstaatlichung, Verbote, immer neue Regulierungen und zusätzliche Steuerbelastungen zu sprechen“, kritisierte Russwurm. „Stattdessen sind Politik und Staat ganz besonders bei den öffentlichen Investitionen gefordert: Deutschland ist hier unter den Schlusslichtern in Europa.“
Der BDI rechnet für das gesamte Jahr 2021 mit einem Anstieg des realen Bruttoinlandsproduktes um 3,5 Prozent. Im April erwartete der Spitzenverband noch drei Prozent Wachstum. „Unseren Optimismus ziehen wir aus einer erwarteten Belebung der Binnenkonjunktur aufgrund von Nachholeffekten im privaten Konsum und aufgrund deutlich steigender Investitionen sowie aus dem Auslandsgeschäft, wo wir eine starke Erholung in Asien erwarten und von den Konjunkturpaketen in den USA profitieren dürften“, erklärte Russwurm. Insgesamt rechnet der BDI in diesem Jahr mit einem Anstieg der Industrieproduktion um acht Prozent. Mit der Rückkehr auf Vorkrisenniveau des BIP rechnet der BDI im vierten Quartal dieses Jahres. „Ein entscheidender Faktor ist nach wie vor die Pandemie, deren Verlauf das größte Abwärts-Risiko für die wirtschaftliche Entwicklung ist und bleibt“, betonte Russwurm.
Als eine weitere Gefahr für die konjunkturelle Erholung nannte der BDI-Präsident zunehmende Lieferengpässe und Rohstoffknappheiten: „Chipmangel führt in der Automobilindustrie bereits zu teils weitreichenden Produktionseinschränkungen.“ Die Probleme beträfen die gesamte Lieferkette. „Lieferengpässe gibt es aber nicht nur bei Halbleiterchips“, erklärte Russwurm. Es mangele auch an Kunststoffen, Verpackungsmaterial, Stahl und Metallen. „Wie stark dieses Thema die Konjunkturkennzahlen letztlich negativ beeinflussen wird, das wird sich noch zeigen“ sagte Russwurm. „Ich bin aber zuversichtlich, dass es der deutschen Industrie zumindest nicht langfristig Probleme bereiten wird.“
Der Druck auf die zukünftige Bundesregierung, grundlegende Standortschwächen zu beseitigen und die Effizienz in den Behörden zu steigern, ist nach Ansicht des BDI-Präsidenten aufgrund der Herausforderungen der Corona-Pandemie noch einmal deutlich gewachsen. „Die Pandemie hat die teils haarsträubenden Digitalisierungsdefizite der öffentlichen Verwaltung offengelegt. Diese Erkenntnis erhöht den Druck, endlich grundlegende Standortschwächen zu beseitigen“, forderte Russwurm. Fortschritt forderte der BDI-Präsident auch in der Steuerpolitik: „Es sollte uns zu denken geben, dass die Diskussion um eine globale Mindeststeuer auf den halben hiesigen Unternehmensteuersatz hinausläuft.“
Der BDI-Präsident kritisierte in der Klimaschutzpolitik die fehlende Planungssicherheit für die Industrie, weil dringend notwendige Richtungsentscheidungen bislang ausgeblieben seien: „Es reicht nicht, Klimaneutralität per Gesetz vorzuschreiben. Die Politik muss auch dringend etwas dafür tun, dass das Ziel erreicht werden kann und politische Entscheidungen treffen“, sagte Russwurm. Über einen Großteil der Produktionsanlagen des Jahres 2045 werde bereits heute entschieden. „Wichtig sind realistische Übergangspfade, ein ausreichender und international plausibel zu vertretender Carbon-Leakage-Schutz, Motivation für möglichst umfangreiche private Investitionen in den Transformationsprozess und schnellere Umsetzung öffentlicher Investitionen insbesondere in die Infrastruktur“, forderte Russwurm. Detaillierten Technologievorgaben oder konkreten Technologieverboten erteilte der BDI-Präsident eine Absage. „Die Entscheidung darüber, welche Innovationen auch wirtschaftlich sinnvoll sind, können nur die Unternehmen treffen.“
Angesichts der Bedeutung des Welthandels für die exportstarke Industrie warnte der BDI-Präsident davor, die Handelspolitik mit idealistischen Vorgaben zu überfrachten: „Wir müssen einen modernen, nachhaltigen Freihandel gestalten, der den Menschen bei uns genauso wie in allen anderen Teilen der Welt dient. Als Europas größte Handelsnation müssen wir Deutschen vorangehen, wenn ein souveränes Europa verantwortungsvolle, der Nachhaltigkeit verpflichtete Handels- und Investitionsabkommen anstrebt.“
Der diesjährige Tag der Industrie fand als dreitägige Hybridveranstaltung statt. Vor Ort in der Verti Music Hall Berlin tauschten sich knapp 100 Tage vor der Bundestagswahl Wirtschaft und Politik über wirtschaftspolitische Herausforderungen für den Standort Deutschland aus. Gäste waren unter anderem Bundeskanzlerin Angela Merkel, Jacinda Ardern, Premierministerin von Neuseeland, Valdis Dombrovskis, Vizepräsident der Europäischen Kommission sowie der bayerische Ministerpräsident Markus Söder. Weitere Redebeiträge vor Ort übernahmen Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier, Bundesfinanzminister Olaf Scholz, Bundesgesundheitsminister Jens Spahn sowie die Bundesvorsitzenden Annalena Baerbock von Bündnis 90/Die Grünen, Armin Laschet von der CDU und Christian Lindner von der FDP.
Partner des Tags der Deutschen Industrie ist Deloitte.