Es geht vorwärts, zweifellos. Die Pandemie scheint in diesen Tagen mit dem Anstieg der Impfzahlen ihren größten Schrecken zu verlieren – auch wenn die Impfkampagne ein Wettlauf gegen immer neue Virus-Varianten ist. Dieser Fortschritt hin zu einer neuen Normalität lässt sich auch auf dem diesjährigen TDI beobachten – nicht nur virtuell, sondern auch ganz unmittelbar, mitten in Berlin. Der TDI ist eine der drei offiziellen Pilotveranstaltungen, mit denen das Land Berlin den Re-Start der Eventbranche vorbereitet. Darüber freuen wir uns sehr.
Geht es auch konjunkturell aufwärts? Wir haben Grund, das zu hoffen: Der BDI rechnet für das gesamte Jahr 2021 mit einem Anstieg des realen Bruttoinlandsproduktes um 3,5 Prozent. Diese Prognose basiert auf der Annahme, dass bis Herbst ein großer Teil der Bevölkerung einen wirksamen Impfschutz erhalten hat und damit pandemiebedingte Vorsichtsmaßnahmen die wirtschaftlichen Aktivitäten nicht mehr beeinträchtigen.
Unseren Optimismus ziehen wir aus einer erwarteten Belebung der Binnenkonjunktur aufgrund von Nachholeffekten im privaten Konsum und aufgrund deutlich steigender Investitionen. Grund für mehr Investitionen ist vor allem das Auslandsgeschäft, weil wir eine starke Erholung in Asien erkennen und die deutsche Investitionsgüterindustrie von den Konjunkturpaketen in den USA profitieren dürfte.
Gleich mehrere unserer Mitgliedsverbände haben in diesen Tagen ihre Prognosen für die Produktion erhöht. Der Maschinenbau zum Beispiel rechnet jetzt mit einem Wachstum von zehn statt sieben Prozent. Insgesamt erwartet der BDI in diesem Jahr einem Anstieg der Industrieproduktion um acht Prozent. Damit könnten wir die Rückkehr auf Vorkrisenniveau des BIP schon im vierten Quartal dieses Jahres erreichen. Doch der von uns erhoffte Aufschwung steht unter Vorbehalt. Ein entscheidender Faktor ist nach wie vor die Pandemie, deren Verlauf das größte Abwärts-Risiko für die wirtschaftliche Entwicklung ist und bleibt.
Weitere Wolken am Konjunkturhimmel sind Lieferengpässe und Rohstoffknappheiten. So führt Chipmangel in der Automobilindustrie bereits zu teils weitreichenden Produktionseinschränkungen. Die Probleme betreffen die gesamte Lieferkette: Nicht nur bei den Fahrzeugbauern, auch bei Zulieferern sind Halbleiterchips Mangelware. Lieferengpässe gibt es aber nicht nur bei Halbleiterchips. Es mangelt auch an Kunststoffen, Verpackungsmaterial, Stahl und Metallen. Im Maschinenbau wird damit gerechnet, dass Materialengpässe die Produktion auch im zweiten Halbjahr beeinträchtigen werden. In der Bauindustrie erweist sich die zunehmende Materialknappheit immer mehr als limitierender Faktor. Wie stark dieses Thema die Konjunkturkennzahlen letztlich negativ beeinflussen wird, das wird sich noch zeigen. Ich bin aber zuversichtlich, dass es der deutschen Industrie zumindest nicht langfristig Probleme bereiten wird.
Ein anderes Thema bereitet uns hingegen deutlich größere Sorgen, weil hier die für die Planungssicherheit der deutschen Industrie dringend notwendigen konkreten Entscheidungen bislang ausgeblieben sind. Die Rede ist von der zukünftigen Klimaschutzpolitik. Es reicht nicht, Klimaneutralität per Gesetz vorzuschreiben. Die Politik muss auch dringend etwas dafür tun, dass das Ziel erreicht werden kann. Dafür bedarf es so schnell wie möglich eines enormen Infrastrukturprogramms. Im Bummelzug ist Klimaneutralität 2045 nicht zu erreichen. Unser Land braucht mehr Tempo. Ich komme darauf gleich noch zu sprechen.
Bisher haben besonnene Führung, unser starkes wirtschaftliches Fundament und ein breiter gesellschaftlicher Grundkonsens größere Verwerfungen von unserem Land ferngehalten. Als Industrie-, Innovations- und Exportland sind wir robust und erfolgreich geblieben. „Durch“ mit der Krisenbewältigung sind wir deshalb aber noch lange nicht. Haben wir aus der Pandemie die richtigen Lektionen gelernt, aus administrativer Überforderung und digitaler Mangelwirtschaft?
Die Pandemie hat die teils haarsträubenden Digitalisierungsdefizite der öffentlichen Verwaltung offengelegt, wo engagierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf die technologischen Möglichkeiten verzichten müssen, die sie privat ganz selbstverständlich nutzen. Diese Erkenntnis erhöht den Druck, endlich grundlegende Standortschwächen zu beseitigen. Diese Frage haben wir in den letzten Monaten immer wieder diskutiert.
Vor dem Hintergrund dieser Diskussionen müssen wir uns einer viel grundsätzlicheren Frage stellen: Besteht der Grundkonsens über die Soziale Marktwirtschaft noch? In vielen Kreisen und bis weit in Regierungsparteien hinein wird permanent über Enteignung, Verstaatlichung, Verbote, immer neue Regulierungen und zusätzliche Steuerbelastungen gesprochen, wird Unternehmertum mit Argwohn und Misstrauen begegnet und unternehmerische Lösungskompetenz auf Abstand gehalten. Das sind die falschen Rezepte, denn sie sind kurzsichtig und verhindern eine nachhaltige Stärkung unserer wirtschaftlichen Wettbewerbskraft. Es geht um viel mehr als nur um das Überwinden einer Pandemie. Für Deutschland als Industrieland ist das Überwinden von Covid ein notwendiger Schritt, aber nur ein erster. Denn die Industrie befand sich bereits seit 2019 in der Rezession und die Investitionsquote sank.
Zum weltweit erfolgreichen klimaneutralen Industrieland können wir nur mit erheblichen Beiträgen der Unternehmen werden. Immer anspruchsvollere Zielvorgaben und verkürzte Fristen reichen dafür nicht aus – und detaillierte Technologievorgaben, ja sogar konkrete Technologieverbote sind erst recht nicht zielführend. Die Politik muss heute politische Entscheidungen mit einer Verlässlichkeit treffen, die die Zykluszeit aus Planung, Umsetzung und Amortisation umfasst. Über einen Großteil der Produktionsanlagen des Jahres 2045 wird bereits heute entschieden – und über die des Jahres 2030 erst recht. Wir müssen deshalb heute wissen, mit welchen Energiequellen wir diese dann betreiben. Dabei geht es nicht um die Farbe des Stroms oder Wasserstoffs. Aber es geht um verlässliche, planbare und kalkulierbare Mengen und Verfügbarkeiten. Gemeinsam mit den Unternehmen müssen wir Lösungen erarbeiten, die sich plausibel rechnen – das ist die Minimalbedingung, die jede Unternehmensentscheidung erfüllen muss. Und es braucht realistische Übergangspfade, einen ausreichenden und international plausibel zu vertretenden Carbon-Leakage-Schutz, Motivation für möglichst umfangreiche private Investitionen in den Transformationsprozess und schnellere Umsetzung öffentlicher Investitionen insbesondere in die Infrastruktur.
Für das Exportland Deutschland ist es entscheidend, dass auch die Politik den Export fördert, nicht zuletzt von Produkten, die weltweit die Dekarbonisierung unterstützen. Zweifellos sind überzeugende technologische Innovationen made in Germany ein gewaltiger Hebel für die globale CO2-Reduktion. Insgesamt darf die EU die Handelspolitik nicht mit idealistischen Vorgaben überfrachten, sondern wir müssen einen modernen, nachhaltigen Freihandel gestalten, der den Menschen bei uns genauso dient wie denen in vielen anderen Teilen der Welt. Als Europas größte Handelsnation müssen wir Deutschen vorangehen, wenn ein souveränes Europa verantwortungsvolle, der Nachhaltigkeit verpflichtete Handels- und Investitionsabkommen anstrebt, die uns dem Ziel eines Level-Playing-Fields nahebringen.
Zugleich brauchen wir eine ehrliche Diskussion darüber, wie wir mit autokratischen Handelspartnern umgehen – politisch und wirtschaftlich. Europa und der Westen insgesamt brauchen einen selbstbewussten Ansatz für den Umgang mit diesen schwierigen Kunden und Wettbewerbern. Wir plädieren für verantwortungsvolle Koexistenz und Zusammenarbeit – mit klaren Grenzen. Neben Konkurrenz und Kooperation gibt es auch Konfrontation, wenn rote Linien überschritten werden. So sind die universellen Menschenrechte keine „innere Angelegenheit“. Und dass die G-7-Staaten sich jetzt vornehmen, der Seidenstraßen-Strategie Chinas vereint Paroli zu bieten, ist richtig – und überfällig.
Im Innovationsland Deutschland werden 70 Prozent der Innovationsleistung in den Unternehmen erbracht. In der staatlichen Innovationsförderung ist es – jenseits der Grundlagenforschung – deshalb entscheidend, auf die Unternehmen zu hören. Sie kennen ihre Kunden, sie wissen, was bei ihren Kunden Wert schafft und wofür diese deshalb bereit sind zu zahlen. Die Entscheidung darüber, welche Innovationen auch wirtschaftlich sinnvoll sind, können nur die Unternehmen treffen. Übrigens: Genau deshalb ist Technologieoffenheit so wichtig!
Um den richtigen Rahmen geht es uns auch in der Steuerpolitik. Deutschland liegt im OECD-Vergleich bei den Unternehmensteuern an der Spitze – ein klarer Nachteil für die globale Wettbewerbsfähigkeit des Standorts. Es sollte uns zu denken geben, dass die Diskussion um eine globale Mindeststeuer auf den halben hiesigen Unternehmensteuersatz hinausläuft. Das Thema hören Sie immer wieder von uns, weil es trotz sehr konkreter Vorschläge des BDI immer noch keinen Fortschritt gibt in der Steuerentlastung. Solange sich daran nichts ändert, wird der BDI den Finger in die Wunde legen.
Uns im BDI geht es um ein Modell des klimaneutralen Industrielands Deutschland, das nachhaltigen Wohlstand schafft, sozial verantwortungsvoll agiert und gesellschaftlich akzeptiert ist. In diesem Modell entsteht Wohlstand durch Freiheit – nicht auf Kosten der Freiheit. Und es verbindet Klimaschutz und Freiheit, statt auf Gängelung und Verzicht zu setzen. Daran messen wir die Parteien, ihre Programme und ihre Kompetenz, wie sie den Zukunftsort Deutschland in dem anstehenden Transformationsprozess gestalten wollen. Der Politik werde ich nachher in meiner Rede sagen: Trauen Sie den Unternehmen zu, die richtigen Entscheidungen zu treffen – insbesondere die richtigen Investitionsentscheidungen! Das können wir – und im Zweifel können wir es auch besser als Politik und Verwaltung. Politik und Staat sind anderswo gefordert: ganz besonders bei den öffentlichen Investitionen. Deutschland ist hier unter den Schlusslichtern in Europa. Massive Investitionen sind notwendig, um Infrastruktur zu modernisieren, das Bildungssystem zukunftsfest zu machen und die Klima- und Energiewende zum Erfolg zu führen.
Deutschland braucht eine Wachstums- und Investitionsoffensive. Der Industriestandort Deutschland muss zu einem Zukunftsort werden, der Planungs- und Investitionssicherheit für Unternehmen und Bürger schafft; Forschung und Innovation notwendige Freiräume lässt; die Herausforderungen des Klimawandels durch technologischen Erfindungsreichtum löst; der Digitalisierung als Chance für Wertschöpfung und Wohlstand nutzt und der Europas Souveränität und Wettbewerbsfähigkeit in einer globalen Welt stärkt.