Wie beurteilen Sie die Wirtschaftspolitik der großen Koalition in den vergangenen vier Jahren? Was lief gut, was schlecht?
Deutsch: „Die große Koalition hat die Investitionen erhöht und in der Pandemie Unternehmen und Beschäftigte geschützt. Sie hat wichtige Industrieprojekte gefördert, zum Beispiel Mikroelektronik, Batterien, Wasserstoff. Deutschland hat mit Frankreich die Weichen für den Wiederaufbau der europäischen Wirtschaft gestellt. In der Klimapolitik und in der Altersversorgung blieb die Regierung jedoch weit hinter den Reformnotwendigkeiten zurück.“
Was sollten die drei wirtschaftspolitischen Top-Prioritäten der nächsten Bundesregierung sein?
Deutsch: „Die nächste Regierung sollte sich noch stärker der technologischen Wettbewerbsfähigkeit und der strategischen Souveränität in der EU widmen. Sie sollte die Klimaziele mit angemessenen Instrumenten unterlegen und die steuerliche Belastung der Unternehmen auf ein international wettbewerbsfähiges Niveau senken. Technologische Innovationen müssen öffentlich flankiert werden, wo der Wettbewerb verzerrt ist oder Externalitäten vorliegen.“
Sind Wirtschaftswachstum und Klimaschutz sich widersprechende Ziele? Oder wie lassen sich Ökonomie und Ökologie miteinander in Einklang bringen?
Deutsch: „Nachhaltiges Wachstum gelingt mit gutem Marktdesign, etwa der Bepreisung von CO2-Emissionen, und Anreizen für neue Technologien. Deutlich höhere öffentliche und private Investitionen werden nur dann realistisch, wenn Geschäftsmodelle, Regulierung und Förderung zusammenpassen. Gesamtwirtschaftliche Risiken dieser Umstellung müssen adressiert werden. Stichworte sind etwa Arbeitsplätze in der Transformation oder die Verfügbarkeit und Kosten von Strom.“
Wegen der Corona-Krise ist die Staatsverschuldung erheblich angestiegen. Braucht es jetzt schnellstmöglich wieder Konsolidierung und dafür womöglich Steuererhöhungen – oder ist die hohe Verschuldung gar nicht so problematisch?
Deutsch: „Die Nettokreditaufnahme für die Pandemiebekämpfung war notwendig und ist verkraftbar. Die Rückzahlung sollte jedoch von 20 Jahren auf 40 Jahre gestreckt werden. Die nächste Koalition wird sich auf eine wachstumsorientierte Finanzpolitik verständigen müssen: Vorrang für Investitionen, Klimaschutz, steuerliche Entlastung der Unternehmen sowie digitale Leistungskraft von Staat, Unternehmen und Bevölkerung.“
Wie beurteilen Sie die Lage und die Aussichten für die deutsche Wirtschaft – konjunkturell, aber auch strukturell?
Deutsch: „Die wirtschaftliche Erholung kommt langsamer voran als erwartet. Angebots- und Lieferengpässe in der Industrie bremsen die kräftige Nachfrage aus. Auch sind noch nicht alle Dienstleistungen wieder voll zurück. Investitionen und Außenhandel laufen gut, aber die Konsumenten bleiben auf ihren Zusatzersparnissen aus dem Lockdown hocken. Das war zu erwarten, hilft aber nicht. Hoffentlich schaffen wir drei Prozent reales Wachstum dieses Jahr.“