Angst droht die EU in Fragen der Außenwirtschaft zu lähmen. Selbst Handelsabkommen mit engsten internationalen Partnern in Nordamerika treiben viele Deutsche auf die Barrikaden. Kritiker behaupten, nicht genau zu wissen, was verhandelt wurde. Doch jetzt liegt das Abkommen vor. Unsere Abgeordneten und Bürger können den Inhalt des Abkommens seit einigen Wochen gründlich prüfen. Nötig sind eine gute Lesebrille und etwas Zeit – der Vertragstext hat mehr als 1.300 Seiten Umfang. Lesen lohnt: Es wird deutlich, dass die meiste Kritik und Skepsis an diesem Abkommen unbegründet sind.
Gerade auf den politisch sensiblen Feldern Investitionsschutz, Dienstleistungen und Regulierung wurde bei CETA sauber darauf geachtet, die demokratischen Prozesse und Spielräume maximal zu wahren. CETA bietet damit eine Riesenchance, das alte System des Investorenschutzes zu modernisieren. Wer freilich Auslandsinvestitionen grundsätzlich als Bedrohung sieht, wird immer ein Haar in der Suppe finden. Dabei sind ausländische Investitionen für den deutschen Wohlstand unverzichtbar.
Anders als oft behauptet, schränkt CETA die Gesetzgeber auch ausdrücklich nicht dabei ein, vorsorgend und eigenständig Regulierung zum Schutze von Gesundheit, Umwelt und Arbeitsstandards zu beschließen. Mehr noch: Der Vorsorgegedanke ist im Text an verschiedenen zentralen Stellen unübersehbar verankert. Jegliche regulatorische Zusammenarbeit soll explizit freiwillig bleiben. Aus diesem Grund sind Formulierungen in CETA unproblematisch, die wissenschaftsbasierte Zulassungsverfahren als Ziel beschreiben. Schließlich ist eine umfassende wissenschaftliche Bewertung der erste Grundsatz des europäischen Vorsorgeprinzips.
Viele Städte und Gemeinden sorgen sich, dass CETA sie zwingen könnte, öffentliche Dienstleistungen zu privatisieren. Diese Sorgen sind unbegründet. In CETA wurde penibel darauf geachtet, dass auch in diesem Bereich keine Liberalisierung stattfindet, die einzelne EU-Mitgliedsstaaten nicht ausdrücklich wollen. Das stellen lange Listen an Vorbehalten und Ausnahmen sicher – schwarz auf weiß.
Seit der Vertragstext vorliegt, wäre Entwarnung angebracht. Trotzdem mobilisieren Gewerkschaften und Verbraucherschutzorganisationen weiterhin lautstark gegen das Abkommen. Dies ist mir unverständlich. Mit ihrem unbeirrten Widerstand verhindern sie echte Fortschritte bei Arbeits-, Sozial- und Umweltstandards.
CETA bietet für Umwelt- und Arbeitnehmerrechte einen klaren Vorteil gegenüber dem Status quo: Das Abkommen sichert arbeits- und umweltpolitische Vereinbarungen und stärkt Nachhaltigkeitsverpflichtungen. So müssen die EU und Kanada gewährleisten, dass ihr Arbeitsrecht und ihre Verfahren im Einklang mit den Zielen und zentralen internationalen Verpflichtungen der Internationalen Arbeiterorganisation stehen. Beiden Seiten wird verboten, Sozial- und Umweltstandards zu senken, um sich Wettbewerbsvorteile zu verschaffen. Auch die Verfahren für öffentliche Beschaffung werden durch CETA transparenter und gerechter. Dabei bleiben die Möglichkeiten unberührt, strenge Auflagen für den Arbeits- und Umweltschutz beteiligter Unternehmen zu machen – solange sie nicht nur für ausländische Anbieter gelten.
Mit CETA ist das bis dato modernste und ausgewogenste Handelsabkommen entstanden. Ich kann keine Gefahr für unsere Standards oder gar die gesetzgeberische Souveränität erkennen. Im Gegenteil: Es bietet der parlamentarischen Demokratie, Bürgern und Unternehmen große Möglichkeiten, die Globalisierung nach europäischen Wertvorstellungen zu gestalten – und gerechter zu machen. Ein Nein zu CETA würde diese Chance leichtfertig verspielen.