Entscheidend bleibt jedoch eine grundsätzliche Einigung über das zukünftige Verhältnis zwischen der Europäischen Union und dem Vereinigten Königreich, die in diesem Jahr erzielt werden muss. Unsere Unternehmen benötigen rasch Klarheit über die Konturen des künftigen Wirtschaftsverhältnisses und über die absehbare völkerrechtliche Basis. Hier muss die britische Regierung Aufklärung leisten. Das Vereinigte Königreich hat mittlerweile so viele rote Linien gezogen, dass die EU27 nur ein Freihandelsabkommen anbieten kann, keine tiefere Form des Wirtschaftsverhältnisses. Das ist bedauerlich, aber einzig der harten Linie der Briten geschuldet.
Dabei sollte sich das Vereinigte Königreich nicht in falscher Sicherheit wiegen: Der Brexit wirft bereits seine Schatten voraus. Im vergangenen Jahr ist das Vereinigte Königreich um zwei Plätze auf Rang fünf der wichtigsten Handelspartner Deutschlands abgerutscht. Geradezu dramatisch ist, was aktuelle Zahlen der UN-Experten der Konferenz der Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung UNCTAD belegen: Die Zuströme ausländischer Direktinvestitionen in das Vereinigte Königreich sind im vorigen Jahr um 90 Prozent gegenüber dem Vorjahr gesunken. Damit sind BDI-Berechnungen nach die Investitionszuflüsse in das Vereinigte Königreich von knapp 200 Milliarden US-Dollar im Jahr 2016 auf nicht einmal mehr 20 Milliarden Dollar im zurückliegenden Jahr gesunken. Ein Alarmsignal, das London hören muss – auch wenn Investitionsströme naturgemäß extremer ausschlagen als Investitionsbestände.
Die britische Regierung geht mittlerweile von einem Wachstum von nur noch 1,4 Prozent aus – das ist der schwächste Wert in der gesamten EU. Knapp 400.000 Menschen arbeiten bei deutschen Unternehmen im Vereinigten Königreich. Es steht viel auf dem Spiel. Auch für unsere Unternehmen. Deutschland führt sieben Prozent seiner Warenexporte ins Vereinigte Königreich aus. Rund 52 Prozent gehen in die anderen EU-Staaten. Die EU ist für unsere Unternehmen der Heimatmarkt. Schon allein aus diesem Grund darf der Brexit die Integrität des Binnenmarktes und der EU nicht gefährden. Konkret bedeutet dies zum Beispiel, dass künftige britische Mitwirkungsmöglichkeiten in der EU nur dann das hohe norwegische Maß erreichen können, wenn sich das Vereinigte Königreich auf gleiche oder vergleichbare Pflichten einlässt.
Wie geht es jetzt weiter? Die Leitlinien, die EU-Ratspräsident Donald Tusk im vergangenen März vorgestellt hat, sind der einzig machbare Weg. Die EU bietet ein breites Handelsabkommen an, das auch die britische Regierung fordert. Für unsere Unternehmen ist ein zoll- und quotenfreier Warenhandel eine Mindestanforderung. Die Unternehmen brauchen aber noch sehr viel weiterreichende Regelungen, von der Arbeitnehmerfreizügigkeit bis zu den Verkehrs- und Logistikthemen.
Derzeit bereiten sich Unternehmen auf alle Szenarien vor; auch auf einen harten Brexit. Wir im BDI haben uns seit dem Frühsommer vergangenen Jahres sehr intensiv in unserer Taskforce Brexit mit den Problemen befasst. Die Taskforce Brexit arbeitet in zehn thematischen Projektgruppen mit fast 200 Mitgliedern aus Verbänden und Unternehmen. Sie präsentiert mögliche Lösungswege für die Themen Handel, Marktzugang, Verkehr, Steuern und Finanzdienstleistungen. Erste Ergebnisse unserer Arbeit gibt es bereits.
Sollten die Verhandlungen auf ein Freihandelsabkommen hinauslaufen, so sollten aus Sicht unserer Taskforce drei Grundzüge gelten: Das Abkommen muss Zölle oder Quoten ausnahmslos ausschließen, Beihilfen klar regeln und regulatorische Kooperation vorsehen. Ein Beispiel sind die Ursprungsregeln. Diese legen in Freihandelsabkommen fest, unter welchen Voraussetzungen ein Produkt zum Beispiel als europäisch gilt und damit zu einem präferenziellen Zoll eingeführt werden darf. Die Ursprungsregeln sollten sich an etablierten Standards wie in den Abkommen der EU mit Südkorea oder Singapur orientieren. Ohne diese Elemente würde es sehr schwer, die intensiven Wirtschaftsbeziehungen zum Vereinigten Königreich aufrecht zu erhalten.
Doch ich sehe bei allem Ungemach, das der Brexit mit sich bringt, auch eine Chance: die Chance für die EU27, ihren Zusammenhalt zu stärken. Ob Wachstum und Arbeitsplätze, ob Sicherheit, Migration oder Klimawandel: All das können wir nur gemeinsam in Europa meistern. Für mich ist die EU nicht das Problem, sondern die Lösung.