„Die deutsche Industrie hält an den Klimazielen für 2030 und 2045 fest. Auch wenn die Energiekrise so ernst ist, dass es in den kommenden Wochen um nichts weniger geht, als das Überleben der Industrie in Deutschland und Europa zu sichern: Klimaschutz muss hohe Priorität behalten.“ Das sagte BDI-Präsident Siegfried Russwurm auf dem Klimakongress des BDI im September in Berlin. In der Klimapolitik dürfe jetzt nicht die Pausentaste gedrückt werden.
„Der konsequente Einsatz für Klimaschutz liegt im ureigensten Interesse der Unternehmen“, betonte der BDI-Präsident. „Die deutsche Industrie hat sich längst erfolgreich auf den Weg ins klimaneutrale Industrieland gemacht.“
Eine unverändert hohe Priorität für Klimaschutz dürfe jedoch kein Weiter-so in der Energie- und Klimapolitik bedeuten. Die Politik habe bei ihren Zielerreichungsstrategien zu wenig bedacht, welche Rahmenbedingungen es braucht, um die notwendigen Investitionen in die Dekarbonisierung sicherzustellen. „Jetzt braucht es eine Doppelstrategie aus Maßnahmen zur Bewältigung der Energiekrise und einer Intensivierung der Investitionen in den Klimaschutz“, sagte Russwurm. „Wirtschaft und Energieversorgung müssen krisenfest und resilienter gemacht werden.“
Damit die Unternehmen durch die Krise kommen, forderte der BDI-Präsident von der Bundesregierung sehr rasch wirksame Maßnahmen. Ein Brennstoffwechsel sollte schneller und leichter als bislang möglich sein. „Existenziell wichtig ist eine deutliche Vergünstigung des Strompreises, unter anderem durch Wegfall des Energiesteuer-Spitzenausgleichs und durch eine staatlichen Co-Finanzierung der Übertragungs-Netzentgelte“, sagte Russwurm. „Entlastungen müssen für die gesamte Dauer der Krise gelten, nicht nur für wenige Monate, sondern mindestens für zwei Jahre.“
Entscheidend sei darüber hinaus die Erhöhung des Angebots: „Alle Kraftwerke, die zur Verfügung stehen, müssen wieder ans Netz, um durch Angebotserhöhung die horrenden Preise zu dämpfen – also Steinkohle, Braunkohle und auch alle sicher verfügbaren Kernkraftwerke“, unterstrich der BDI-Präsident.
„Die Investitionssummen, die Unternehmen, Privathaushalte und Staat gemeinsam für die klimaneutrale Transformation aufbringen müssen, waren schon vor der aktuellen Energiekrise gewaltig. Sie dürften unter den veränderten Rahmenbedingungen noch höher ausfallen, als wir das in unsere Studie ‚Klimapfade 2.0‘ vor einem Jahr beziffert haben“, sagte Russwurm. Die Untersuchung hat Investitionen in allen Wirtschaftssektoren im Umfang von 860 Milliarden Euro bis 2030 beziffert.
Der BDI hat sechs Transformationsmaßnahmen identifiziert, auf die es jetzt für das Erreichen der Klimaschutzziele entscheidend ankommt: erstens ein deutlich beschleunigter Ausbau erneuerbarer Energien und Netze einschließlich der erforderlichen Backup-Kapazität für Dunkelheit und Windstille. Nötig sei dafür eine „Revolution der Planungs- und Genehmigungsverfahren, die nach wie vor himmelweit vom notwendigen Tempo und der nötigen Effizienz entfernt sind“, wie Russwurm kritisierte. Zweitens forderte der BDI-Präsident den schnellen Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft im industriellen Maßstab einschließlich des Imports: Deutschland und die EU sollten sich bei der Entwicklung eines globalen Wasserstoffmarkts noch stärker koordinieren und strategische Wasserstoff-Partnerschaften schließen.
Drittens erachtet der BDI Klimaschutzverträge für die Industrie als notwendig, welche die durch klimaneutrale Lösungen verursachten hohen Betriebskosten abfedern, um notwendige Investitionen nicht abzubremsen. Viertens sei im Verkehrssektor eine massive Beschleunigung des Ausbaus von Schiene und Lade- und Tank-Infrastruktur erforderlich – einschließlich echter Technologieoffenheit: „Keine Antriebstechnologie darf per Regulierung ausgeschlossen werden“, stellte Russwurm fest.
Fünftens kommt es dem BDI im Gebäudesektor entscheidend auf eine langfristige und verlässliche Förderkulisse an. „Förderstopps und größere Einschränkungen des Förderangebots, wie es sie in diesem Jahr zweimal gab, müssen der Vergangenheit angehören“, warnte Russwurm. Sechstens müsse zirkuläres Wirtschaften in der gesamten Breite sämtlicher Wertschöpfungsprozesse etabliert werden.
„Der Weg zur Klimaneutralität war schon vor der Energiekrise eine Mammutaufgabe“, betonte Russwurm. Für die Industrie komme es nun besonders auf verlässliche Investitionsanreize und wirtschaftlich machbare Anforderungen an. „Die Dekarbonisierung darf nicht zur Deindustrialisierung führen, sondern muss zur Erneuerung des Industriestandorts Deutschland beitragen. Nur so werden wir zum Beispiel für andere Regionen der Welt.“
Der fünfte Klimakongress des BDI fand als Hybridveranstaltung statt. Vor Ort im AXICA Kongress- und Tagungszentrum in Berlin tauschen sich mehr als 400 Vertreterinnen und Vertreter aus Wirtschaft, Politik und Wissenschaft über Herausforderungen für den Standort Deutschland im Spannungsfeld von akuter Krisenbewältigung und der Transformation zu einer klimaneutralen Wirtschaft aus.
Zu den Teilnehmern zählen unter anderem BDI-Präsident Siegfried Russwurm, Robert Habeck, Vizekanzler und Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz, sowie Steffi Lemke, Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz. Weitere Redebeiträge übernehmen unter anderem die Sonderbeauftragte für internationale Klimapolitik, Jennifer Lee Morgan, der CEO der Salzgitter AG, Gunnar Groebler, VDA-Präsidentin Hildegard Müller, Kai Niebert, Präsident des Deutschen Naturschutzrings, sowie Ramona Pop, Vorständin der Verbraucherzentrale Bundesverband.