Schon die Anfahrt zur Baustelle des International Thermonuclear Experimental Reactor (ITER) lässt die Dimension des Forschungsprojekts erahnen. Eine runde, 40 Meter breite Betonstruktur ragt in den Himmel, daneben mehrere mächtige Hallen, überall reges Treiben.
Unter Forschern erzählte man sich lange den Witz von der „Fusionskonstante“. Demnach gelingt die Fusion – egal, wann man fragt – immer erst „in 40 bis 50 Jahren“. Der imposante Baufortschritt in Cadarache rückt das Ziel allerdings in greifbare Nähe. Als erster Zwischenschritt ist die Erzeugung von Plasma bei rund 100 Millionen Grad für das Jahr 2025 geplant. 2035 soll der ewige Traum von der Fusion dann Realität werden. Vor Ort spricht man gerne von Solar-Fusion. Der Begriff unterstreicht, dass die Fusionsforschung die Physik der Sonne zur Energieerzeugung nutzbar machen will.
Das ITER-Projekt wurde 1985 von Michail Gorbatschow, Francois Mitterand und Ronald Reagan als ideologieüberschreitendes, visionäres Friedensprojekt angestoßen. Die Planung begann 1988 im deutschen Max-Planck-Institut für Plasmaphysik in Garching bei München. Der Startschuss für den Bau des Forschungsreaktors erfolgte schließlich im Jahr 2005. Dass es sich um kein gewöhnliches Projekt handelt, offenbart ein Blick auf die Speisekarte der Kantine: japanische und chinesische Köstlichkeiten, indische Gerichte, US-Steaks und europäische Spezialitäten. Ein Spiegelbild der beteiligten Wirtschaftsmächte. Neben der Europäischen Union und den USA sind China, Indien, Russland, Japan und Südkorea am Projekt dabei. Allen Partnern ist wichtig, auch selbst mitzubauen und das Know-how zu teilen: Und so rollen auf der Baustelle Lieferungen aus der ganzen Welt an. Magnetspulen, supraleitende Kabel und Spezialstähle kommen erst per Schiff nach Marseille, dann mit dem Lastwagen auf einer eigens gebauten Straße nach Cadarache.
Unsere Gespräche mit den Fusionsforschern drehten sich darum, ob denn die Fusion zur deutschen Energiewende passe. Für uns BDI-Vertreter, die wir aus der deutschen Energiewende-Debatte kommen, ist es eine Lektion in internationaler Technologieoffenheit. Abseits der Euphorie um den Boom erneuerbarer Energien seien ja wichtige Fragen der Energiewende ungeklärt: Wie lässt sich eine CO2-freie Stromversorgung bei bewölktem Himmel und Windstille gewährleisten? Wie kann der steigende Stromverbrauch im Zuge der Digitalisierung bewältigt werden? Auf künftige Technologiesprünge zu hoffen, ist keine Lösung. Die Solar-Fusion könnte – als Ergänzung zu erneuerbaren Energien – in absehbarer Zeit eine liefern.
Vielleicht ist deswegen die Faszination für dieses Thema weltweit ungebrochen. ITER ist nach der Apollo-Mission und der internationalen Raumstation ISS das drittgrößte Forschungsprojekt der Geschichte. Außerdem bauen mehrere ITER-Partnerländer an eigenen, kleineren Fusionsprojekten, so etwa China, die USA, Japan, Großbritannien und auch Deutschland mit Wendelstein 7 X in Greifswald. Denn die Vorteile der Technologie sind klar: der Reaktor kann nicht explodieren, sondern nur ausgehen. Brennstoff ist nicht radioaktives Uran, sondern Wasserstoff. Und der wenige, leicht strahlende Abfall ist nach Nutzungsende des Reaktorgebäudes schon nach 100 Jahren abgeklungen.
Am Ende des Besuchs ist klar, dass ITER hilft, um Antworten auf drängende Fragen der zukünftigen Energieversorgung zu finden. Einen Wunsch gab es auch: das Ziel, eine europäischen Fusionsindustrie zu schaffen. Noch hat Europa hier international die Nase vorn, doch die Konkurrenz schläft nicht.