"Das Gebot der Stunde lautet: EU27 en Marche. In der deutschen Industrie begrüßen wir sehr, dass Präsident Emmanuel Macron bei der deutsch-französischen Zusammenarbeit und der Reformdiskussion in Europa Tempo macht. Seine Sorbonne-Rede kurz vor dem Europäischen Rat im Oktober war eine mutige Vision für ein souveränes Europa. Daher sehe ich – trotz Brexit, Migrationskrise und wachsender internationaler Unsicherheit durch Trump, Xi und Putin – aktuell die Chance für die EU, ihren Zusammenhalt zu stärken.
Auch wenn wir über die Vorstellungen in der Wirtschafts- und Finanzpolitik noch ringen werden: Ich bin Macron dankbar dafür, dass er den Souveränitätsbegriff wieder in den Mittelpunkt der europäischen Debatte stellt. Nur Europa kann wirkliche Souveränität gewährleisten, die es uns ermöglicht, unsere Werte und Interessen in der Welt zu verteidigen. So lautet für mich die Kernbotschaft des französischen Präsidenten. Das ist ein kraftvoller Gegenentwurf zur weit verbreiteten Einschätzung, allein durch Rückzug ins Nationale könne Volkssouveränität wieder hergestellt werden.
Dank der fortschreitenden Integration von Maastricht bis Lissabon sind wir Europäer heute in der Lage, die Globalisierung mitzugestalten. Doch welche Vision hat die deutsche Industrie von einem souveränen Europa? Aus Sicht des BDI liegt der Schlüssel in zwei Kernbereichen:
Erstens: mehr Souveränität durch einen starken Binnenmarkt. Der Zugang zu 500 Millionen Konsumenten und funktionierenden Wertschöpfungsketten ist ein enormer Faktor, um unseren Werten und Interessen international Gewicht zu geben. Zwei Reformbaustellen halte ich für besonders wichtig: die EU-Binnenmärkte für Energie und Digitales.
Bei der regionalen Kopplung ihrer Strommärkte hat die EU bereits erhebliche Fortschritte erzielt. Sie hat den Wettbewerb im Stromgroßhandel verstärkt und den Trend sinkender Großhandelspreise erreicht. Um die Vorteile der Marktkopplung noch besser zu nutzen, benötigen wir Stromautobahnen durch ganz Europa. Hier besteht gerade wegen des geplanten Ausbaus erneuerbarer Energien dringender Handlungsbedarf.
Zudem muss die EU einen digitalen Binnenmarkt schaffen. Rund 4.000 Cyberangriffe mit Schadprogrammen täglich erschüttern zunehmend das Vertrauen in eine digitale Wirtschaft und Gesellschaft. Zwischen 2013 und 2017 hat sich der daraus resultierende wirtschaftliche Schaden verfünffacht, bis 2019 könnte er sich noch einmal vervierfachen. Soll der digitale Binnenmarkt funktionieren, sind ehrgeizige europäische Lösungen zur Cybersicherheit dringend erforderlich. Diese müssen zusammen mit der Industrie gefunden werden.
Zweitens: mehr Souveränität durch eine handlungsfähige Außenwirtschaftspolitik. Sie ist Voraussetzung dafür, dass wir Europäer die Globalisierung auf Grundlage unserer Werte und Interessen gestalten, die wir uns auf unserem Kontinent seit 1789 mühevoll, aber erfolgreich erarbeitet haben. Künftige EU-Abkommen sollten in ein Freihandels- und ein Investitionsschutzabkommen aufgeteilt werden. Freihandelsabkommen könnten dann als „EU-only“-Abkommen auf europäischer Ebene verhandelt und be-schlossen werden. Die demokratische Legitimität wäre gesichert: Zum einen sind an der Entscheidungsfindung auf EU-Ebene die Mitgliedstaaten über den Rat beteiligt, zum anderen stellt das EU-Parlament als die Vertretung der Bürgerinnen und Bürger die Kontrolle der Kommission sicher. Zusätzlich sollten Bundesregierung und EU-Kommission eine ausreichende Information des Bundestages von Anfang an sicherstellen.
Die Vertiefung des Binnenmarkts und eine handlungsfähige Außenwirtschaftspolitik müssen prominente Elemente einer europäischen Zukunftsagenda sein. Von der nächsten Bundesregierung erwarten wir, dass sie sich konstruktiv in die Diskussion über europäische Souveränität einbringt, die der französische Präsident angestoßen hat. Merci, Monsieur le Président!"