„Wir in der deutschen Industrie blicken optimistisch in dieses neue Jahr. Der Aufschwung hat an Breite gewonnen. Die deutsche Wirtschaft ist auf dem Weg in die Hochkonjunktur. Wir erwarten 2018 einen Zuwachs des Bruttoinlandproduktes von zweieinviertel Prozent. Damit wächst die Wirtschaftsleistung das neunte Jahr in Folge.
Die Kapazitäten in der Industrie sind so ausgelastet wie seit der weltweiten Finanzkrise vor zehn Jahren nicht mehr. Der Aufschwung ist nachhaltig und robust. Echte Risiken für eine konjunkturelle Überhitzung sehen wir nicht.
Das macht auch unsere Unternehmen mutiger. Sie investieren wieder deutlich mehr. Deshalb werden die privaten Investitionen im neuen Jahr deutlich stärker steigen als im Vorjahr. Dieser Trend festigt den Aufschwung zusätzlich. Bei den Bruttoanlageinvestitionen rechnen wir mit einem Plus von viereinhalb Prozent. Damit kommt Deutschland erstmals aus der Phase einer unterdurchschnittlichen Entwicklung im EU-Vergleich heraus.
Der Beschäftigungsaufbau wird in diesem Jahr weiter zunehmen. Etliche 100.000 neue Arbeitsplätze entstehen. Die Industrie sucht händeringend Arbeitskräfte. Vor allem hochausgebildete Fachkräfte sind kaum noch zu finden.
Es ist vor allem wieder der Motor Außenhandel, der die Konjunktur antreibt. Die deutschen Exporte von Waren und Dienstleistungen werden in diesem Jahr gegenüber dem Vorjahr erneut zulegen – und zwar um fünf Prozent, wie wir im BDI erwarten. Das ist eine weitere gute Nachricht für die Beschäftigten hierzulande. Schließlich hängt etwa jeder vierte Arbeitsplatz in Deutschland vom Export ab, in der Industrie sogar mehr als jeder zweite.
Die weltweiten Märkte bleiben Fundament und Zukunft für ein wirtschaftlich starkes Deutschland. Doch ein Blick auf diese Weltmärkte bereitet uns trotz aktuell überwiegend guter Nachrichten auch gewisse Bauchschmerzen.
Die größte Bedrohung für unseren Aufschwung ist das hohe Maß an internationaler Unsicherheit. Noch nie gab es so viele krisenhafte Entwicklungen zur gleichen Zeit. Verlässlichkeit und Berechenbarkeit, zwei Grundpfeiler für unternehmerisches Engagement, nehmen rund um den Globus ab. Die Abkehr von offenen Weltmärkten, von freiem Handel, freiem Unternehmertum und freiem Kapitalverkehr – sie ist zu einem gefährlichen Trend geworden.
Ich erwarte von jeder künftigen Bundesregierung, sich entschlossen für freien Handel und eine prosperierende Weltwirtschaft einzusetzen. Deutschland als eine der führenden Exportnationen muss weiter daran arbeiten, die Beziehungen zu anderen Weltregionen in diesem Sinne zu gestalten.
Vor allem das Verhältnis zu unseren beiden wichtigsten Handelspartnern außerhalb der EU, zu China und den USA. Mit Unbehagen betrachten wir innerhalb Chinas den zunehmenden Einfluss der Kommunistischen Partei auf Geschäftsentscheidungen. Es muss den internationalen Investoren vorbehalten bleiben, das letzte Wort über Geschäfts- und Investitionsentscheidungen zu haben – nicht der Partei. Es ist irritierend, wie wenig China das Prinzip der Offenheit im eigenen Land umgesetzt hat, das es von anderen Ländern zurecht einfordert. Wir Deutschen müssen in Zukunft in der Welt noch stärker für unsere Überzeugung einer regelbasierten und offenen Wirtschaftsordnung einstehen. Hierbei habe ich auch die USA im Blick.
Durch die Steuerreform von US-Präsident Donald Trump gewinnen viele Unternehmen, auch aus Deutschland und Europa. Manchen jedoch entsteht zunächst großer Schaden. Was eindeutig ist: Die Pläne verschärfen den Steuerwettbewerb enorm. Jetzt kommt es darauf an, dass die Politik hierzulande den Standort Deutschland durch steuerliche Strukturreformen konkurrenzfähig macht.
Unsere Unternehmen sind zudem beunruhigt, dass US-Präsident Trump deutlich stärker Gebrauch von ungerechtfertigten Antidumping-Maßnahmen machen will. Vor seinem Amtsantritt waren 3,8 Prozent der US-amerikanischen Einfuhren von Handelsrestriktionen betroffen. Der größte Teil davon betraf China. Durch die neuen Aktivitäten, etwa in Sektoren wie Stahl, Aluminium oder Solarzellen, könnte sich der Anteil der betroffenen Importe laut einer Studie des Peterson-Instituts auf 7,4 Prozent der US-Importe nahezu verdoppeln. Und diese neuen Handelsbarrieren würden überproportional nicht China, sondern andere Handelspartner treffen – Deutschland eingeschlossen.
Eine andere große Gefahr für unsere Konjunktur liegt fast direkt vor unserer Haustür, auf der anderen Seite der Nordsee: der britische Ausstieg aus der EU. Unsere Unternehmen müssen sich auf alle Eventualitäten vorbereiten – und eben auch auf einen harten Brexit.
Ein Scheitern der Verhandlungen würde deutschen Unternehmen besonders schaden. Über vielen Aktivitäten im Vereinigten Königreich schwebt nicht nur das Damoklesschwert der Unsicherheit, sie sind sogar dem Risiko massiver Entwertung ausgesetzt.
Trotz der jüngsten Fortschritte bei den Grundfragen des Austritts im Dezember liegt noch ein sehr weiter Weg vor den Unterhändlern. Selbst eine zwingend erforderliche Übergangsregelung verschafft den Unternehmen lediglich eine Atempause. Für einen Übergang kommt nur eine Verlängerung der Mitgliedschaft im Binnenmarkt und der Zollunion in Frage – inklusive der vier Grundfreiheiten, auch für Arbeitskräfte. Alles andere lässt sich in der kurzen Zeit überhaupt nicht realisieren.
Doch ich sehe bei allem Ungemach, das der Brexit mit sich bringt, auch eine Chance: die Chance für die EU27, ihren Zusammenhalt zu stärken.
Ob Wachstum und Arbeitsplätze, ob Sicherheit, Migration oder Klimawandel: All das können wir nur gemeinsam in Europa meistern. Für mich ist Europa nicht das Problem, sondern die Lösung.
Auch aus diesem wichtigen Grund brauchen wir endlich eine handlungsfähige Regierung in Deutschland. Doch seit der Bundestagswahl ist unser Land ohne neue Regierung. Unsere Unternehmen wünschen sich Planungssicherheit, unsere Partner in der Welt erwarten Handlungsfähigkeit.
Ja, es stimmt: Wirtschaftlich haben wir vollen Wind in den Segeln. Doch wir müssen ebenso vorankommen, sobald einmal Flaute herrscht. Dafür muss eine neue Regierung in diesen guten Zeiten die Weichen stellen. 2018 muss das Jahr der Taten werden. Vor allem in der Debatte um die Zukunft der EU und insbesondere der Wirtschafts- und Währungsunion. Sie muss mit einer starken Stimme aus Berlin vorangetrieben werden. Europa ist unser Heimatmarkt. Und mehr als das sind wir Deutschen der Anker für Europa. Unser Land ist die größte Volkswirtschaft unseres Kontinents und Export- wie Import-Europameister: Unsere industrielle Wertschöpfung ist größer als die der beiden auf uns folgenden Industriestaaten zusammen, also Italien und Frankreich.
Damit zur Innenpolitik: Wer immer demnächst die Regierung in Deutschland stellt, muss mehr Wirtschaft wagen. Dazu gehören zuvorderst Investitionen in die Zukunft unseres Landes – und das schnellstmöglich. Die Regierung muss das Geld dort ausgeben, wo sich Wachstumspotenziale heben und Arbeitsplätze sichern und neue schaffen lassen. Der Breitbandausbau und unsere digitale Infrastruktur müssen endlich vorankommen. Ein Viertel aller Firmen hat noch immer keinen Zugang zu schnellem Internet. Dieser Zustand ist absolut inakzeptabel. Diese Unternehmen wollen erfolgreich bleiben und weiter wachsen. Von der künftigen Bundesregierung erwarten wir deshalb, dass sie zügig den Dialog mit den Netzanbietern intensiviert und Investitionsanreize für einen beschleunigten Ausbau setzt.
Deutschland muss die Chancen, die sich durch die Digitalisierung ergeben, viel stärker nutzen. Wir als BDI haben deshalb eine neue Initiative gestartet. Ihr Name: Gesundheit digital. Seit über einem Jahrzehnt reden wir in Deutschland über die Einführung einer elektronischen Patientenakte. Geht es in diesem Schneckentempo weiter, verschenken wir unnötig Potenziale.
Es geht darum, weniger Verteilungsdiskussionen zu führen. Sondern mehr über Innovationen und Investitionen zu reden und sie umzusetzen. Der Schlüssel zum Erfolg ist die Fähigkeit, große Datenmengen zu erheben, zu übertragen und zu verarbeiten. Die künftige Bundesregierung muss endlich die gesetzlichen Grundlagen für die Nutzung von Gesundheitsdaten schaffen. Sonst drohen wir in der Gesellschaft, aber genauso in unseren Unternehmen, die oft Weltmarktführer sind, zurückzufallen.
Den Rückwärtsgang müssen wir auch in der Steuerpolitik vermeiden. Gerade vor dem Hintergrund des von den USA – und durch die Reaktion Chinas – neu entfachten schärferen Steuerwettbewerbs. Eine zukunftsfähige Steuerstrukturreform muss her. Sie umfasst für mich: das Auslaufen des Solidaritätszuschlags; die überfällige Korrektur der sub-stanzbesteuernden Elemente der Gewerbesteuer und die Einführung einer steuerlichen Forschungsförderung, wie sie inzwischen in nahezu allen Industriestaaten selbstverständlich ist.
Neben der Steuerpolitik gehört unsere Energie- und Klimapolitik auf den Prüfstand. Mehr Technologieoffenheit, höhere Kosteneffizienz und der Erhalt der Versorgungssicherheit müssen die Leitlinien einer neuen Regierung sein. Wir brauchen mehr Realismus in der Energie- und Klimapolitik. Das gilt auch für das nationale Klimaziel, bis 2020 die Treibhausgase um 40 Prozent zu reduzieren. Offenbar sind hier die Koalitionsparteien willens, die Realität anzuerkennen.
Wir benötigen eine echte Modernisierungsoffensive – ich denke da etwa an die energetische Gebäudesanierung. Fast 40 Prozent des Energieverbrauchs gehen auf das Konto der rund 20 Millionen Gebäude in unserem Land. Klimaschutz-Investitionen an Gebäuden sind sinnvoll und schnell rentabel.
Klimaschutz ist ein wichtiges Ziel. Für die Industrie bietet er Herausforderungen, Risiken und Chancen. Aber es reicht nicht, das Klima nur schützen zu wollen. Deutschland muss seine Energiewende zu einer Erfolgsgeschichte machen, pragmatisch und an der Wirtschaftlichkeit orientiert.
Deutschland geht es gut – sehr gut sogar. Die Wirtschaft wächst, die Beschäftigung ebenso. Die Startposition für eine neue Regierung – sie könnte kaum besser sein.
Bei unseren Unternehmen und ihren Beschäftigten sieht das anders aus. Sie sind wachsenden weltweiten Risiken ausgesetzt.
Umso mehr kommt es darauf an, dass unsere Unternehmen zu Hause Verlässlichkeit und Berechenbarkeit vorfinden. Wir brauchen rasch eine neue Regierung: eine, die mit frischem Tatendrang kluge Ziele erreichen will; eine, die weniger Verteilungsdiskussionen führt; eine, die mehr Wirtschaft wagt.