Die Lage ist kompliziert, denn das Europäische Parlament ist so fragmentiert wie nie zuvor. Die Europawahl im Mai hat die jahrzehntelange Mehrheit von Christ- und Sozialdemokraten gebrochen und neue Kräfteverhältnisse geschaffen. Zwar ist das Parlament klar proeuropäisch, allerdings wurden die Ränder gestärkt. Zudem sind mehr als die Hälfte der Abgeordneten neu. Es gibt im Gegensatz zum Bundestag im EU-Parlament keine Fraktionsdisziplin, so dass wechselnde politische Allianzen wahrscheinlicher werden. Zu erwarten sind komplexere Verhandlungen, schwierigere Kompromissbildungen und Verzögerungen in der Gesetzgebung.
Auch die EU-Mitgliedstaaten sind in zentralen Fragen europäischer Politik tief gespalten. Vor allem die klimapolitischen Vorhaben der Kommission stoßen in den mittel- und osteuropäischen Staaten auf wenig Zustimmung. Umstritten sind aber auch Fragen der Sozialpolitik, der Handelspolitik, des EU-Haushalts und der Rechtsstaatlichkeit. Und letzten Endes müssen sich Rat und Parlament auf gemeinsame Positionen einigen.
Die Herausforderung ist es, unsere Positionen in diesem Interessensdschungel durchzusetzen. Nachhaltigkeit als Leitlinie europäischer Politik ist richtig, allerdings darf die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie dabei nicht auf der Strecke bleiben. Die angekündigte EU-Industriestrategie muss sicherstellen, dass klima-, sozial- und wirtschaftspolitische Ziele in Einklang gebracht werden. Denn nur eine wirtschaftlich starke EU kann ambitionierte umwelt- und sozialpolitische Ziele erreichen und europäische Interessen und Werte in der Welt durchsetzen.